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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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des Pythagoras, Hermes, Apollonios von Tyana).
    Mit dem Ende des 2. Jahrhunderts klingt diese Erregung ab. Die Blüte der epischen Dichtung ist vorüber, und es beginnt die mystische Durchdringung und dogmatische Zergliederung der religiösen Stoffe. Die Lehren der neuen Kirche werden in theologische Systeme gebracht. Das Heldentum weicht der Scholastik, die Dichtung dem Denken, der Seher und Sucher dem Priester. Die Frühscholastik, die um 200 endet (entsprechend der abendländischen Epoche von 1200), umfaßt die gesamte Gnosis im allerweitesten Sinne, das große Schauen: den Verfasser des Johannesevangeliums, Valentinus, Bar Daisan und Marcion, die Apologeten und ältesten Väter bis auf Irenäus und Tertullian, die letzten Tannaim bis auf den Vollender der Mischna, Rabbi Jehuda, in Alexandria die Neupythagoräer und Hermetiker. Das alles entspricht im Abendlande der Schule von Chartres, Anselm von Canterbury, Joachim von Floris, Bernhard von Clairvaux und Hugo von St. Victor. Die Hochscholastik beginnt mit dem Neuplatonismus, mit Clemens und Origenes, den ersten Amoräern und den Schöpfern des jüngeren Awesta unter Ardeschir (226–241) und Schapur I., vor allem dem mazdaischen Hohepriester Tanvasar. Zugleich beginnt die Ablösung einer höheren Religiosität von der bäuerlichen, noch immer in apokalyptischer Stimmung verweilenden Frömmigkeit des Landes, die sich von da an fast unverändert unter wechselnden Namen bis in das Fellachentum der Türkenzeit erhält, während in der städtischen und geistigeren Oberwelt die persische, jüdische und christliche Gemeinschaft von der des Islam aufgenommen werden.
    Langsam vollenden sich nun die großen Kirchen. Es hat sich entschieden – das wichtigste religiöse Ergebnis des 2. Jahrhunderts –, daß aus der Lehre von Jesus keine Umgestaltung des Judentums, sondern eine neue Kirche hervorgeht, die ihre Richtung nach Westen nimmt, während das Judentum, ohne an innerer Kraft eingebüßt zu haben, sich dem Osten zuwendet. Das 3. Jahrhundert gehört den großen Gedankenbauten der Theologie. Man hat sich mit der geschichtlichen Wirklichkeit abgefunden. Das Weltende ist in die Ferne gerückt und es entsteht eine Dogmatik, welche das neue Weltbild erklärt. Der Anbruch der Hochscholastik hat zur Voraussetzung, daß man an die Dauer der zu begründenden Lehren glaubt.
    Überblickt man diese Gründungen, so ergibt sich, daß die aramäische Mutterlandschaft ihre Formen nach drei Richtungen hin entwickelt. Im Osten bildet sich aus der zarathustrischen Religion der Achämenidenzeit und den Resten ihrer heiligen Literatur die mazdaische Kirche mit einer strengen Hierarchie und peinlichem Ritual, mit Sakramenten, Messe und Beichte
(patet)
. Wie erwähnt, ist durch Tanvasar die Sammlung und Ordnung des
neuen
Awesta begonnen worden; unter Schapur I. sind, wie gleichzeitig im Talmud, die profanen Texte medizinischen, juristischen und astronomischen Inhalts hinzugekommen; der Abschluß erfolgte durch den Kirchenfürsten Mahraspand unter Schapur II. (309–379), und es ist für die arabische Kultur selbstverständlich, daß sogleich ein Kommentar in Pehlewisprache, der Zend, hinzukommt. Das neue Awesta ist wie die jüdische und christliche Bibel ein Kanon einzelner Schriften und wir erfahren, daß unter den seitdem verlorenen Nasks (ursprünglich 21) sich ein Evangelium Zarathustras, die Bekehrungsgeschichte des Vischtaspa, eine Genesis, ein Rechtsbuch und ein Geschlechterbuch mit Stammbäumen von der Schöpfung bis zu den Perserkönigen befanden, während bezeichnenderweise der Vendidad, nach Geldner der »Levitikus der Perser«, sich vollständig erhalten hat.
    Ein neuer Religionsstifter erscheint 242 zur Zeit Schapurs I. in Mani, der unter Verwerfung des »erlöserlosen« Judentums und Griechentums die gesamte Masse magischer Religionen zu einer der gewaltigsten theologischen Schöpfungen aller Zeiten zusammenfaßt, für die er 276 durch die mazdaische Priesterschaft ans Kreuz geschlagen wurde. Durch seinen Vater, der noch in späten Jahren seine Familie verließ und in einen Mandäerorden trat, mit dem ganzen Wissen seiner Zeit ausgerüstet, hat er die Grundgedanken der Chaldäer und Perser mit denen des Johanneischen, östlichen Christentums vereinigt, was vor ihm ohne die Absicht einer Kirchengründung in der christlich-persischen Gnosis des Bar Daisan versucht worden war. [Die dem Johannesevangelium zugrunde liegende Lehre muß er durch mündliche Überlieferung sehr genau

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