Der Untergang des Abendlandes
Volksreligion gewordene Buddhismus vor dem Neubrahmanismus verschwindet, dessen größter Theologe Sankara um 800 lebte, und wann dieser endlich in die hinduistische Lehre von Brahma, Vischnu und Shiva übergeht. Es gibt stets eine kleine Zahl äußerst geistiger, überlegener, absolut »fertiger« Menschen, wie die Brahmanen Indiens, die Mandarinen Chinas und die ägyptischen Priester, die Herodot in Erstaunen setzten. Aber die Fellachenreligion selbst ist wieder durch und durch primitiv wie die ägyptischen Tierkulte der 26. Dynastie, die aus Buddhismus, Taoismus und Konfuzianismus gebildete Staatsreligion Chinas, wie der Islam des heutigen Orients und vielleicht doch auch die Religion der Azteken, wie sie Cortez antraf, die sich von der durchgeistigten Mayareligion schon weit entfernt haben muß.
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Eine Fellachenreligion ist auch das Judentum etwa seit Jehuda ben Halevi, der wie sein islamischer Lehrmeister Al Ghazali [Vgl. Bd. II, S. 946.] die wissenschaftliche Philosophie mit unbedingter Skepsis betrachtet und sie im »Kuzari« (1140) nur noch als Dienerin der gläubigen Theologie gelten läßt. Das entspricht durchaus der Wendung von der mittleren zur jüngeren Stoa der Kaiserzeit und dem Erlöschen der chinesischen Spekulation unter der westlichen Han-Dynastie. Noch bezeichnender ist Moses Maimonides, der um 1175 den gesamten Lehrstoff des Judentums als etwas Fertiges und Starres in einem großen Werk vom Schlage des chinesischen Li-ki zusammengetragen hat, ohne die geringste Rücksicht darauf, ob das Einzelne noch Sinn hatte oder nicht. [Fromer, Der Talmud, S. 217. Die »rote Kuh« und das Salbungsritual der jüdischen Könige werden darin mit demselben Ernst behandelt wie die wichtigsten Bestimmungen des Privatrechts.] Weder in dieser noch in einer andern Zeit ist das Judentum etwas Einzigartiges in der Religionsgeschichte, aber von der Lage aus betrachtet, welche die abendländische Kultur auf ihrem eigenen Boden dafür geschaffen hat, erscheint es so. Und ebensowenig ist die Tatsache, daß der jüdische Name immer wieder etwas anderes bezeichnet, ohne daß seine Träger es bemerken, etwas für sich Stehendes, denn sie wiederholt sich Schritt für Schritt im Persertum.
In ihrer »Merowingerzeit« (etwa 500–0) entwickeln sich beide aus Stammesverbänden zu Nationen magischen Stils, ohne Land, ohne Einheit der Abstammung und schon damals mit der Wohnweise des Ghetto, die bis auf die Parsen in Bombay und die Juden in Brooklyn dieselbe geblieben ist.
In der Frühzeit (etwa 0–500) wird dieser landlose consensus von Spanien aus bis nach Schantung verbreitet. Es war die jüdische Ritterzeit und die »gotische« Blütezeit religiöser Gestaltungskraft: die späte Apokalyptik, die Mischna und das Urchristentum, das erst seit Trajan und Hadrian abgestoßen wurde, sind Schöpfungen dieser Nation. Es ist bekannt, daß die Juden damals Bauern, Handwerker und Kleinstädter waren. Die großen Geldgeschäfte führten Ägypter, Griechen, Römer, also »alte« Menschen.
Um 500 beginnt das jüdische Barock, das dem abendländischen Betrachter sehr einseitig im Bilde der spanischen Glanzzeit zu erscheinen pflegt. Der jüdische
consensus
tritt wie der persische, islamische und byzantinische in ein städtisches und geistiges Wachsein und beherrscht von nun an die Formen der städtischen Wirtschaft und Wissenschaft. Tarragona, Toledo und Granada sind vorwiegend jüdische Großstädte. Juden bilden einen wesentlichen Teil der vornehmen maurischen Gesellschaft. Ihre vollendeten Formen, ihren
esprit
, ihre Ritterlichkeit hat der gotische Kreuzzugsadel bewundert und nachzuahmen versucht; aber auch die Diplomatie, Kriegführung und Verwaltung der maurischen Staaten ist ohne die jüdische Aristokratie, welche hinter der islamischen an Rasse nicht zurückstand, gar nicht zu denken. Es gab, wie einst in Arabien einen jüdischen Minnesang, so jetzt eine hohe Literatur und eine aufgeklärte Wissenschaft. Als Alfons X. von Kastilien um 1250 unter Leitung des Rabbiners Isaak ben Said Hassan durch jüdische, islamische und christliche Gelehrte ein neues Planetenwerk ausarbeiten ließ, [Strunz, Gesch. der Naturwiss. im Mittelalter, S. 89.] war das immer noch eine Leistung nicht des faustischen, sondern des magischen Weltdenkens. Erst seit Nicolaus Cusanus wurde es umgekehrt. Aber in Spanien und Marokko lag doch nur ein sehr kleiner Teil des jüdischen
consensus
und dieser selbst hatte nicht nur einen weltlichen, sondern vor allem auch
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