Der Untergang des Abendlandes
europäisch-amerikanischen Welt und die Armenier und Griechen in Südosteuropa. Die Erscheinung wiederholt sich in jeder anderen Zivilisation, sobald sie in jüngere Zustände eindringt: die Chinesen in Kalifornien – sie sind der eigentliche Gegenstand des westamerikanischen »Antisemitismus« – und in Java und Singapur, der indische Händler in Ostafrika, aber auch der Römer in der früharabischen Welt, wo die Lage gerade umgekehrt war. Die »Juden« dieser Zeit waren die Römer, und in dem apokalyptischen Haß der Aramäer gegen sie liegt auch etwas dem westeuropäischen Antisemitismus ganz Verwandtes. Es war ein echter Pogrom, als im Jahre 88 auf einen Wink von Mithridates hin an einem Tage 100000 römische Geschäftsleute von der erbitterten Bevölkerung Kleinasiens ermordet wurden.
Zu diesen Gegensätzen tritt der der Rasse, welcher in demselben Maße aus Verachtung in Haß übergeht, als die abendländische Kultur sich selbst der Zivilisation nähert und der »Altersunterschied« mit seinem Ausdruck in der Lebenshaltung und Vorherrschaft der Intelligenz geringfügiger wird. Aber er hat mit den törichten, der Sprachwissenschaft entnommenen Schlagworten Arier und Semit gar nichts zu tun. Die »arischen« Perser und Armenier sind für uns von den Juden gar nicht zu unterscheiden, und schon in Südeuropa und auf dem Balkan ist ein körperlicher Unterschied zwischen christlichen und jüdischen Einwohnern kaum vorhanden. Die jüdische Nation ist wie jede andre der arabischen Kultur das Ergebnis einer ungeheuren Mission und bis in die Zeit der Kreuzzüge hinein durch massenhafte Zu- und Austritte beständig verändert worden . [Vgl. Bd. II, S. 877. Zum Folgenden Bd. II, S. 707.] Ein Teil der Ostjuden stimmt körperlich mit den christlichen Bewohnern des Kaukasus, ein andrer mit den südrussischen Tartaren, ein großer Teil der westlichen mit den nordafrikanischen Mauren überein. Es ist vielmehr der Gegensatz zwischen
dem Rasseideal der gotischen Frühzeit
, das züchtend gewirkt hat, und dem Typus des sephardischen Juden, der sich erst in den Ghettos des Abendlandes, und zwar ebenfalls durch seelische Zucht unter sehr harten äußeren Bedingungen ausgebildet hat, zweifellos in dem wirksamen Banne der Landschaft und der Wirtsvölker und in der metaphysischen Verteidigung gegen sie, namentlich seit dieser Teil der Nation durch Verlust der arabischen Sprache eine Welt für sich geworden ist. Dies Gefühl eines tiefen Andersseins tritt auf beiden Seiten um so mächtiger hervor, je mehr Rasse der Einzelne hat. Nur der Mangel an Rasse bei geistigen Menschen, Philosophen, Doktrinären, Utopisten bewirkt es, daß sie diesen abgrundtiefen, metaphysischen Haß nicht verstehen, in welchem der verschiedene Takt zweier Daseinsströme wie eine unerträgliche Dissonanz zum Vorschein kommt, einen Haß, der für beide tragisch werden kann und der auch die indische Kultur durch den Gegensatz des Inders von Rasse und des Tschudra beherrscht hat. Während der Gotik ist dieser Gegensatz tief religiös und richtet sich vor allem gegen den
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als Religion; erst mit Beginn der abendländischen Zivilisation ist er materialistisch geworden und richtet sich gegen die plötzlich vergleichbar gewordene geistige und geschäftliche Seite.
Am tiefsten trennend und erbitternd hat aber die Tatsache gewirkt, welche in ihrer vollen Tragik am wenigsten begriffen worden ist: während der abendländische Mensch von den Tagen der Sachsenkaiser bis zur Gegenwart Geschichte im allerbedeutendsten Sinne durchlebt, und zwar mit einer Bewußtheit, die in keiner andern Kultur ihresgleichen findet, hat der jüdische
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aufgehört Geschichte zu haben. [Vgl. Bd. II, S. 613.] Seine Probleme waren gelöst, seine innere Form abgeschlossen und unveränderlich geworden; Jahrhunderte hatten für ihn wie für den Islam, die griechische Kirche und die Parsen keine Bedeutung mehr, und deshalb kann, wer innerlich diesem
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verbunden ist, die Leidenschaft gar nicht begreifen, mit welcher faustische Menschen die in wenig Jahren zusammengedrängten Entscheidungen ihrer Geschichte, ihres Schicksals durchleben, wie es zu Beginn der Kreuzzüge, in der Reformation, der französischen Revolution, den Freiheitskriegen und an allen Wendepunkten im Dasein der Einzelvölker der Fall war. Das alles liegt für ihn um dreißig Generationen zurück. Geschichte größten Stils strömt draußen vorüber, Epoche folgt auf Epoche, der Mensch ist mit jedem Jahrhundert
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