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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Schicksale darstellen, das hängt von dem Ursymbol ab, das jeder Kultur und ihrer gesamten Formensprache zugrunde liegt.
    Der Adel, ganz Pflanze, geht überall vom Lande als dem Ureigentum aus, mit dem er fest verwachsen ist. Er besitzt überall die Grundform des
Geschlechts
, in dem auch die »andere« Geschichte, die des Weibes, zum Ausdruck kommt, und stellt sich durch den Willen zur Dauer, nämlich des Blutes, als das große Sinnbild von Zeit und Geschichte dar. Es wird sich zeigen, daß das frühe, auf persönlichem Vertrauen beruhende hohe Beamtentum des Vasallenstaates überall, in China und Ägypten so gut wie in der Antike und im Abendland, vom Marschalk (chinesisch
sse-ma
), Kämmerer(
chen
) und Truchseß (
ta-tsai
) bis zum Vogt(
nan
) und Grafen(
peh
), [Die chinesischen Rangstufen bei Schindler, Das Priestertum im alten China, S. 61 f., die ihnen genau entsprechenden ägyptischen bei Ed. Meyer, Gesch. des Altertums I, § 222, die byzantinischen in der Notitia dignitatum, zum Teil vom Sassanidenhof stammend. In der antiken Polis deuten einige uralte Beamtentitel auf Hofämter (Kolakreten, Prytanen, Konsuln). Siehe weiter unten.] zuerst lehnsartige Hofämter und Würden schafft, dann die erbliche Verbindung mit dem Boden sucht und so endlich zum Ursprung adliger Geschlechter wird.
    Der faustische Wille zum Unendlichen kommt in dem
genealogischen Prinzip
zum Ausdruck, das, so sonderbar es klingt, dieser Kultur allein angehört, hier aber auch alle historischen Gebilde, vor allem die Staaten selbst bis ins Innerste durchdringt und gestaltet. Der historische Sinn, der über Jahrhunderte hinweg das Schicksal des eignen Blutes kennen und das Wann und Woher bis zu den Urahnen
urkundlich
belegt sehen will, die sorgfältige Gliederung des Stammbaums, die den gegenwärtigen Besitz und seine Erbfolge vom Schicksal einer Ehe abhängig machen kann, die vielleicht ein halbes Jahrtausend vorher geschlossen worden ist, die Begriffe
des reinen Blutes
, der Ebenbürtigkeit, der Mißheirat, das alles ist Wille zur Richtung in die zeitliche Ferne, wie sie vielleicht nur noch im ägyptischen Adel zu einer verwandten, aber sehr viel schwächeren Form gelangt ist.
    Dagegen ist der Adel antiken Stils durchaus auf den augenblicklichen Stand des agnatischen Geschlechts gerichtet, und dann auf einen
mythischen Stammbaum
, der nicht den geringsten historischen Sinn verrät, sondern lediglich das um die historische Wahrscheinlichkeit ganz unbekümmerte Bedürfnis nach einem prunkvollen Hintergrund für das Jetzt und Hier der Lebenden. Daher die sonst ganz unerklärliche Naivität, mit welcher der Einzelne hinter seinem Großvater gleich Theseus und Herakles erblickt und sich einen phantastischen Stammbaum zimmert, womöglich mehr als einen wie Alexander, und die Leichtigkeit, mit welcher römische Familien angebliche Ahnen in die ältere Konsulnliste hineinfälschen konnten. Bei den Begräbnissen der römischen Nobilität wurden die Wachsmasken großer Vorfahren im Leichenzug einhergetragen, aber es kam nur auf Zahl und Klang der berühmten Namen an, nicht im geringsten auf den genealogischen Zusammenhang mit der Gegenwart. Dieser Zug geht durch den gesamten antiken Adel, der wie der gotische auch dem inneren Bau und Geiste nach eine Einheit bildet von Etrurien bis nach Kleinasien hin. Auf ihm beruht die Macht, die noch zu Beginn der Spätzeit die ordensartigen Geschlechterverbände durch alle Städte hindurch besaßen, jene Phylen, Phratrien und Tribus, die einen rein gegenwärtigen Bestand und Zusammenhang in sakraler Form pflegten wie die drei dorischen, die vier ionischen Phylen und die drei etruskischen Tribus, die im ältesten Rom als Tities, Ramnes und Luceres erscheinen. In den Veden haben die »Väter«- und »Mütter«seelen nur für drei nähere und drei fernere Generationen Anspruch auf den Seelenkult, [Hardy, Indische Religionsgeschichte, S. 26.] dann verfallen sie der Vergangenheit, und weiter zurück reichte auch der antike Seelenkult nirgends: das ist der äußerste Gegensatz zum Ahnenkult der Chinesen und Ägypter, welcher der Idee nach niemals endet und damit das Geschlecht selbst über den leiblichen Tod hinaus in bestimmten Ordnungen aufrecht erhält. In China lebt heute noch ein Herzog Kung als Nachkomme des Konfuzius und ebenso ein Nachkomme des Laotse, des Tschang-lu und anderer. Von einem weitverzweigten Stammbaum ist nicht die Rede; die Linie, das
tao
des Wesens wird fortgeführt, augenscheinlich auch durch

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