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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Adoption, die den Adoptierten durch Verpflichtung zum Ahnenkult dem Geschlecht seelisch einverleibt, oder durch andere Mittel.
    Eine unbändige Lebenslust durchströmte die blühenden Jahrhunderte dieses eigentlichsten Standes, der durch und durch Richtung, Schicksal und Rasse ist. Das Weib, weil es Geschichte
ist
, und der Kampf, weil er Geschichte
macht
, stehen unbedingt im Mittelpunkte seines Denkens und Treibens. Der nordischen Skaldenpoesie und dem südlichen Minnesang entsprechen die alten Liebeslieder im Schi-king aus chinesischer Ritterzeit, [M. Granet, Coutumes matrimoniales de la Chine antique, T'oung Pao (1912), S. 517 ff.] die im Pi-yung vorgetragen wurden, der Stätte adliger Zucht, des
hiao
; und ebenso gehört das feierliche öffentliche Bogenschießen ganz im Geiste der frühantiken Agone und der gotischen wie der persisch-byzantinischen Turniere zu dieser
homerischen
Seite des chinesischen Lebens.
    Dem gegenüber steht die
orphische
, die durch den Stil des Priestertums das Raumerlebnis einer Kultur ausdrückt. Es entspricht der euklidischen Art der antiken Ausgedehntheit, die keines Vermittlers bedarf, um mit den nahen leibhaften Göttern Verkehr zu pflegen, wenn das Priestertum hier von den Anfängen eines Standes zu einer Summe städtischer Ämter herabsinkt. Es entspricht dem
tao
der Chinesen, daß es statt des erblichen Priestertums am Anfang später nur noch die Berufsklassen der Beter, Schriftkundigen und Orakelpriester gibt, welche die Kulthandlungen der Behörden und Familienhäupter mit den vorgeschriebenen Riten begleiten. Es entspricht dem sich in maßlose Weiten verlierenden Weltgefühl des Inders, daß der Priesterstand dort ein zweiter Adel wird, der sich mit ungeheurer Macht und in das gesamte Leben eingreifend zwischen das Volk und seine wüste Götterwelt lagert; und es ist endlich ein Ausdruck des Höhlengefühls, wenn der eigentliche Priester magischen Stils der Mönch und Einsiedler ist, und zwar mit steigendem Nachdruck, während die Weltpriesterschaft an sinnbildlicher Bedeutung mehr und mehr verliert.
    Dagegen erhebt sich nun das faustische Priestertum, das noch um 900 ohne jede tiefere Bedeutung und Würde gewesen war, in steilem Aufstieg zu jener ungeheuren Mittlerrolle, die sich der Idee nach zwischen die gesamte Menschheit und die mit dem vollen Pathos der dritten Dimension ausgespannte Weite des Makrokosmos stellt, die aus der Geschichte durch das Zölibat, aus der Zeit durch den
character indelebilis
ausgeschlossen ist und im Papsttum gipfelt, das das größte überhaupt denkbare Symbol des heiligen dynamischen Raumes darstellt und in der protestantischen Idee des allgemeinen Priestertums der Gläubigen nicht aufgehoben, sondern nur von einem Punkt und einer Person in die Brust jedes einzelnen Gläubigen verlegt worden ist.
    Der in jedem Mikrokosmos vorhandene Widerspruch zwischen Dasein und Wachsein treibt mit innerer Notwendigkeit auch die beiden Stände gegeneinander. Die Zeit will den Raum, der Raum die Zeit sich einordnen. Geistliche und weltliche Macht sind Größen von so verschiedener Ordnung und Tendenz, daß eine Versöhnung oder auch nur Verständigung unmöglich erscheint. Aber in allen andern Kulturen ist dieser Kampf nicht zu welthistorischem Ausbruch gekommen: in China war dem Adel um des
tao
, in Indien dem Priestertum um des endlos verschwimmenden Raumes willen die Vorherrschaft gesichert; innerhalb der arabischen Kultur ist die Einordnung des sichtbar weltlichen Zusammenhangs der Rechtgläubigen in den großen geistigen
consensus
mit dem magischen Weltgefühl unmittelbar gegeben und damit also auch die Einheit von weltlichem und geistlichem Staat, Recht, Herrschertum. Das hat die Reibungen beider Stände nicht verhindert und im Sassanidenreich zu blutigen Fehden zwischen dem Adel der Dinkane und der Magierpartei und zu Mordtaten selbst an einzelnen Herrschern geführt, in Byzanz das ganze 5. Jahrhundert mit Kämpfen zwischen Kaisergewalt und Geistlichkeit ausgefüllt, die überall im Hintergrunde der monophysitischen und nestorianischen Streitigkeiten stehen, [Ein Beispiel ist das Leben des Johannes Chrysostomus.] aber das grundsätzliche Verhältnis stand dabei
nicht
in Frage.
    In der Antike, die das Unendliche in jedem Sinne von sich wies, waren die Zeit auf die Gegenwart, das Ausgedehnte auf den greifbaren Einzelkörper zurückgeführt, und die Stände von großer Symbolik mithin so bedeutungslos geworden, daß sie gegenüber dem Stadtstaat, der das

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