Der Untergang des Abendlandes
nicht zum Bewußtsein, weil er zu tief im menschlichen Dasein liegt und also selbstverständlich ist; nur dem Oberflächenbild werden die Schlagworte und Anlässe entnommen, um die man in jener Seite der Geschichte kämpft, die von der Theorie als sozial abgetrennt wird und sich in Wirklichkeit doch gar nicht trennen läßt.
Adel und Priestertum
erwachsen zuerst aus dem freien Lande und stellen die reine Symbolik von Dasein und Wachsein, Zeit und Raum dar: aus den Seiten des Beutemachens und Grübelns entwickelt sich dann ein doppelter Typus von geringerer Symbolik, der in städtischen Spätzeiten in Gestalt von
Wirtschaft und Wissenschaft
zur Vormacht aufsteigt. In diesen beiden Daseinsströmen sind rücksichtslos und traditionsfeindlich die Ideen von Schicksal und Kausalität zu Ende gedacht; es entstehen Mächte, die eine Todfeindschaft von den Standesidealen des Heldentums und der Heiligkeit trennt:
das Geld und der Geist
. Sie verhalten sich beide zu jenen wie die Seele der Stadt zu der des Landes. Eigentum heißt von nun an Reichtum und Weltanschauung Wissen: entheiligtes Schicksal und profane Kausalität. Aber auch Wissenschaft und Adel sind ein Widerspruch. Der Adel beweist und forscht nicht, sondern
ist
. Es ist bürgerlich-unvornehm, das
de omnibus dubitandum
, aber es widerspricht andrerseits auch dem Grundgefühl des Priestertums, das die Kritik in eine dienende Rolle verweist. Weiterhin stößt die reine Wirtschaft hier auf eine asketische Moral, die den Geldgewinn verwirft, so wie ihn der echte auf seinem Boden sitzende Adel verachtet. Selbst der alte Kaufmannsadel ist vielfach zugrunde gegangen, z. B. in den Hansestädten und in Venedig und Genua, weil er die unbedenklichen Formen des großstädtischen Geschäfts aus Tradition nicht mitmachen wollte oder konnte. Und endlich stehen Wirtschaft und Wissenschaft selbst sich feindlich gegenüber und wiederholen in dem Kampfe zwischen Geldgewinn und Erkenntnis, zwischen
Kontor und Gelehrtenstube,
geschäftlichem und doktrinärem Liberalismus die alte große Gegnerschaft von Handeln und Schauen, Burg und Dom. In irgendeiner Gestalt wiederholt sich diese Gliederung im Aufbau jeder Kultur und macht damit eine vergleichende Morphologie auch im Sozialen möglich.
Ganz außerhalb der echten Standesordnung stehen überall die
Berufsklassen
der Handwerker, Beamten, Künstler und Arbeiter, die z. B. in den Gilden der Schmiede (China), Schreiber (Ägypten) und Sänger (Antike) bis in die Urzeit zurückreichen und zuweilen infolge der beruflichen, bis zur Aufhebung des Conubiums gehenden Absonderung zu wirklichen Volksstämmen geworden sind wie die Falascha Abessiniens [Schwarze Juden, die durchweg Schmiede sind.] und mehrere der im Gesetzbuch des Manu aufgezählten Tschudraklassen. Ihre Sonderung beruht auf bloßen technischen Fertigkeiten und also nicht auf der Symbolik von Zeit und Raum; ihre Tradition beschränkt sich ebenfalls auf Technik und nicht auf eine
eigne
Sitte oder Moral, wie sie in Wirtschaft und Wissenschaft durchaus vorhanden ist. Weil sie sich vom Adel ableiten, sind Offiziere und Richter Stände, die Beamten ein Beruf; weil vom Priestertum abgeleitet, ist der Gelehrte ein Stand, der Künstler ein Beruf. Ehrgefühl und Gewissen haften dort am Stande, hier an der Leistung. Es ist etwas Symbolisches, mag es auch noch so schwach sein, in der Gesamtheit der ersten, was den letzten fehlt. Infolgedessen haftet ihnen etwas Fremdes, Regelloses, oft etwas Verächtliches an; man denke an den Scharfrichter, Schauspieler und fahrenden Sänger oder die antike Einschätzung des bildenden Künstlers. Ihre Klassen und Gilden sondern sich von der Gesellschaft ab oder suchen den Schutz der andern Stände – oder einzelner Patrone und Mäzene –, aber einfügen können sie sich ihnen nicht, was in den Zunftkriegen der alten Städte und den gesellschaftsfeindlichen Trieben und Gewohnheiten jeder Art von Künstlerschaft zum Ausdruck kommt.
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Eine Geschichte der Stände, die von den Berufsklassen grundsätzlich abzusehen hat, ist also eine Darstellung des Metaphysischen im höheren Menschentum, soweit es sich in Arten von dahinströmendem Leben zu großer Symbolik erhebt, Arten, in und an denen die Geschichte der Kulturen sich vollzieht.
Schon der scharf ausgeprägte Typus des Bauern am Anfang ist etwas Neues. Zur Karolingerzeit und im zarischen Rußland des »Mir« [Der ganz primitive Mir ist entgegen den Behauptungen sozialistischer und panslawistischer Schwärmer
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