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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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königliche Familie zur Flucht zwang. Man baute Barrikaden und rief die Republik aus (1649). Wäre der Kardinal von Retz Cromwell ähnlicher gewesen, so war ein Sieg der Ständepartei über Mazarin wohl möglich. Aber der Ausgang dieser großen abendländischen Krise ist durchaus vom Gewicht und Schicksal weniger Persönlichkeiten bestimmt und gestaltete sich deshalb so, daß in England
allein
die im Parlament vertretene Fronde den Staat und das Königtum ihrer Führung unterwarf und diesen Zustand in der »glorreichen Revolution« von 1688 dauernd begründet hat, so daß heute noch wesentliche Teile des alten Normannenstaates zu Recht bestehen. In Frankreich und Spanien siegte das Königtum unbedingt. In Deutschland wurde im Westfälischen Frieden für die große Fronde der Reichsfürsten gegen den Kaiser das englische, für die kleine Fronde den Landesfürsten gegenüber das französische Verhältnis durchgesetzt. Im Reich regieren die Stände, in deren Gebieten aber die Dynastie. Von da an war das Kaisertum wie das englische Königtum ein Name, umgeben mit Resten des spanischen Prunks aus dem frühen Barock; die Einzelfürsten und ebenso die führenden Familien der englischen Aristokratie erlagen dem Vorbild von Paris, und ihr Absolutismus kleinen Formats ist der Träger des Stils von Versailles geworden, politisch wie sozial. Damit war zugleich der Sieg des Hauses Bourbon über das Haus Habsburg entschieden, was schon im Pyrenäenfrieden von 1659 vor aller Welt zum Ausdruck kam.
    Mit dieser Epoche war der im Dasein jeder Kultur als Möglichkeit angelegte Staat verwirklicht und eine Höhe des politischen Geformtseins erreicht, die nicht mehr überboten, aber auch nicht lange aufrecht erhalten werden konnte. Ein leiser herbstlicher Zug geht schon durch die Zeit, als Friedrich der Große in Sanssouci Tafel hielt. Es sind die Jahre, in welchen auch die großen Sonderkünste ihre letzte, zarteste, geistigste Reife erlangen, neben den Rednern der athenischen Agora Zeuxis und Praxiteles, neben dem Filigran der Kabinettsdiplomatie die Musik von Bach und Mozart.
    Diese Kabinettspolitik ist selbst eine hohe Kunst geworden, ein artistischer Genuß für den, der seine Finger darin hatte, wundervoll in ihrer Feinheit und Eleganz, höflich, raffiniert, unheimlich in die Ferne wirkend, wo jetzt schon Rußland, die nordamerikanischen Kolonien, selbst die indischen Staaten angesetzt werden, um an ganz anderen Punkten der Erde durch das bloße Gewicht einer überraschenden Kombination Entscheidungen herbeizuführen. Es ist ein Spiel in strengen Regeln mit eröffneten Briefen und geheimen Vertrauten, mit Allianzen und Kongressen innerhalb eines Systems von Regierungen, das damals schon mit tiefbedeutendem Ausdruck das Konzert der Mächte genannt worden ist, voller
noblesse
und
esprit,
um die Worte der Zeit zu gebrauchen, eine Art, die Geschichte in Form zu halten, wie sie nie und nirgends sonst auch nur denkbar ist.
    In der abendländischen Welt, deren Einflußgebiet jetzt schon mit der Erdoberfläche beinahe gleichbedeutend war, umfaßt die Zeit des absoluten Staates kaum eineinhalb Jahrhunderte, von 1660, wo im Pyrenäenfrieden das Haus Bourbon über Habsburg triumphiert und die Stuarts nach England zurückkehren, bis zu den Koalitionskriegen gegen die französische Revolution, in denen London über Paris siegt, oder dem Wiener Kongreß, auf welchem die alte Diplomatie des Blutes, nicht des Geldes, der Welt zum letzten Male ein großes Schauspiel gab. Das entspricht dem Zeitalter des Perikles in der Mitte zwischen erster und zweiter Tyrannis, und dem
tschun-tsiu
, »Frühling und Herbst«, wie die Chinesen die Zeit zwischen den Protektoren und den »Kämpfenden Staaten« nennen.
    In dieser letzten Zeit vornehmer Politik in den Formen eines Herkommens, das Abstand besitzt, werden die Höhepunkte dadurch bezeichnet, daß die beiden habsburgischen Linien rasch nacheinander aussterben, und die diplomatischen wie die kriegerischen Ereignisse sich 1710 um die spanische, 1760 um die österreichische Erbfolge drängen. [Der fünfzigjährige Abstand dieser kritischen Punkte, der sich in dem klaren geschichtlichen Aufbau des Barock besonders deutlich abhebt und auch in der Folge der drei Punischen Kriege erkennbar wird, deutet wieder darauf hin, daß die kosmischen Flutungen in Gestalt des menschlichen Lebens an der Oberfläche eines kleinen Gestirns nichts irgendwie für sich Bestehendes sind, sondern mit dem unendlichen Bewegtsein des

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