Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
Vom Netzwerk:
(1919), S. 804 ff.] Die Demokratie beginnt und die große soziale Revolution der Hyksoszeit bereitet sich vor.
    Dem entspricht in China die Zeit der Ming-dschu (oder Pa, 685 bis 591). Es sind Protektoren fürstlicher Herkunft, die eine rechtlich nicht begründete, aber tatsächliche Macht über diese ganze, in wüste Anarchie versunkene Staatenwelt ausüben, Fürstenkongresse berufen, um die Ordnung herzustellen und gewisse politische Grundsätze zur Anerkennung zu bringen, sogar den gänzlich bedeutungslosen »Herrscher der Mitte« aus dem Hause Dschou vorladen. Der erste war Hoang von Tsi († 645), der den Fürstentag von 659 berief und von dem Konfuzius schrieb, daß er China vor dem Rückfall in die Barbarei gerettet habe. Die Bezeichnung Ming-dschu ist später wie der Tyrannenname ein Schimpfwort geworden, weil man in ihrer Erscheinung nur noch die Macht ohne Recht bemerken wollte, aber diese großen Diplomaten sind ganz ohne Zweifel ein Element, das sich voller Sorge um den Staat und die geschichtliche Zukunft gegen die alten Stände richtet und dabei auf die jungen stützt, auf Geist und Geld. Eine hohe Kultur spricht aus dem Wenigen, was bis jetzt aus chinesischen Quellen über sie bekannt geworden ist. Einige waren Schriftsteller, andere haben Philosophen zu Ministern berufen. Es ist gleichgültig, ob man an Richelieu oder Wallenstein oder Periander denkt – jedenfalls tritt mit ihnen zuerst »das Volk« als politische Größe auf. [S. Plath, Verfassung und Verwaltung Chinas, Abh. Münch. Ak. (1864), S.97. O. Franke, Stud. z. Gesch. d. Konf. Dogmas, S. 255 ff.] Das ist echte Barockgesinnung und Diplomatie von hohem Rang. Der absolute Staat hat sich der Idee nach dem Ständestaat gegenüber durchgesetzt.
    Eben darin liegt die enge Verwandtschaft mit der abendländischen Zeit der Fronde. Hier hat die Krone in Frankreich seit 1614 keine Generalstände mehr berufen, nachdem diese sich den vereinigten Gewalten von Staat und Bürgertum überlegen gezeigt hatten. In England versuchte Karl I. seit 1628 ebenfalls ohne Parlament zu regieren. In Deutschland kommt der Dreißigjährige Krieg, der doch auch, ganz abgesehen von seiner religiösen Bedeutung, die Entscheidung zwischen Kaisergewalt und der
großen
kurfürstlichen Fronde einerseits und zwischen den Einzelfürsten und der
kleinen
Fronde ihrer Landstände andrerseits herbeiführen sollte, dadurch zum Ausbruch, daß 1618 die böhmischen Stände das Haus Habsburg absetzten und ihre Macht daraufhin 1620 durch ein furchtbares Strafgericht vernichtet wurde. Aber der Mittelpunkt der Weltpolitik lag damals in
Spanien
, wo mit der gesellschaftlichen Kultur überhaupt auch der diplomatische Stil des Barock entstanden ist, nämlich im Kabinett Philipps II., und wo das dynastische Prinzip, in dem sich der absolute Staat den Cortes gegenüber verkörperte, seine gewaltigste Ausbildung erfahren hat, und zwar im Kampfe gegen das Haus Bourbon. Der Versuch, auch England genealogisch dem spanischen System einzugliedern, war unter Philipp II. gescheitert, weil der schon angekündigte Erbe aus seiner Ehe mit Maria von England ausblieb. Jetzt, unter Philipp IV., taucht noch einmal der Gedanke einer alle Ozeane beherrschenden Universalmonarchie auf, nicht mehr jenes mystische Kaisertum der frühen Gotik, das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, sondern das greifbare Ideal der Weltherrschaft des Hauses Habsburg, die sich von Madrid aus auf den realen Besitz von Indien und Amerika und auf die schon fühlbar hervortretende Macht des Geldes stützen sollte. Damals haben es die Stuarts versucht, ihre gefährdete Stellung durch die Ehe des Thronfolgers mit einer spanischen Infantin zu verstärken, aber man zog in Madrid zuletzt die Verbindung mit der eigenen Seitenlinie in Wien vor, und so wandte sich Jakob I. – ebenfalls vergeblich – an die Gegenpartei der Bourbonen mit dem Vorschlag eines Ehebündnisses. Der Mißerfolg dieser Familienpolitik hat mehr als alles andre dazu beigetragen, die puritanische Bewegung mit der englischen Fronde zu einer großen Revolution zu verbinden.
    In diesen großen Entscheidungen treten wie im »gleichzeitigen« China die Inhaber der Throne selbst ganz in den Hintergrund vor einzelnen Staatsmännern, in deren Hand Jahrzehnte hindurch das Schicksal der abendländischen Welt liegt. Graf Olivarez in Madrid und der spanische Gesandte in Wien Oñate waren damals die mächtigsten Persönlichkeiten in Europa; ihnen standen als Verteidiger des

Weitere Kostenlose Bücher