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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Politiker gezüchtet werden mit einer Folgerichtigkeit, die nur in der Züchtung des preußischen Offizierskorps ihresgleichen hatte, Kenner nämlich, die den geheimen Takt der Dinge beherrschen, auch den stillen Gang der Meinungen und Ideale, und die deshalb seit 1832 den ganzen Strom der bürgerlich-revolutionären Grundsätze über das von ihnen gelenkte Dasein hingehen ließen ohne die Gefahr, den Zügel aus der Hand zu verlieren. Sie besaßen das
training
, die Biegsamkeit und Beherrschtheit eines menschlichen Leibes, der, das jagende Pferd unter sich, den Sieg heran
fühlt
. Man ließ die großen Grundsätze die Masse bewegen, weil man wußte, daß es das Geld war, mit dem man die großen Grundsätze bewegen konnte, und man fand statt der brutalen Methoden des 18. Jahrhunderts feinere und nicht weniger wirksame, von denen die Drohung mit den Kosten einer Neuwahl die einfachste ist. Die doktrinären Verfassungen des Festlands sahen nur die eine Seite der Tatsache Demokratie. Hier, wo man keine Verfassung hatte, sondern in Verfassung war, übersah man sie ganz.
    Ein dunkles Gefühl davon ist auf dem Festland nie verschwunden. Für den absoluten Barockstaat gab es eine klare Form; für die konstitutionelle Monarchie gab es nur schwankende Kompromisse, und die konservative und liberale Partei unterscheiden sich nicht wie in England – seit Canning – nach längst erprobten Regierungsmethoden, die sie abwechselnd zur Anwendung brachten, sondern nach der Richtung, in welcher sie die Verfassung abzuändern wünschten, nämlich nach der Tradition oder der Theorie hin. Sollte die Dynastie dem Parlament dienen oder umgekehrt? Das war die Streitfrage, über welcher man den außenpolitischen Endzweck vergaß. Die »spanische« und die – mißverstandene – »englische« Seite der Verfassung wuchsen nicht zusammen und konnten es nicht, so daß während des 19. Jahrhunderts der diplomatische Außendienst und die parlamentarische Tätigkeit sich nach zwei ganz verschiedenen Seiten hin entwickelten, sich dem Grundgefühl und der Methode nach vollkommen fremd wurden und einander gründlich verachteten. Das Leben rieb sich wund in einer Form, die es nicht aus sich selbst entwickelt hatte. Frankreich verfiel seit dem Thermidor einer Herrschaft der Börse, gemildert durch gelegentliche Aufrichtung einer Militärdiktatur: 1800,1851,1871,1918. In der Schöpfung Bismarcks, die in den Grundzügen dynastischer Natur war, mit einem entschieden untergeordneten parlamentarischen Bestandteil, wurde die innere Reibung so stark, daß sie die gesamte politische Energie und zuletzt, seit 1916, den Organismus selbst verbraucht hat. Das Heer hatte seine eigne Geschichte und eine große Tradition von Friedrich Wilhelm I. an, ebenso die Verwaltung. Hier liegt der Ursprung des Sozialismus als einer Art, politisch in Form zu sein, die der englischen streng entgegengesetzt ist, [Preußentum und Sozialismus, S. 40 ff.] aber ebenso wie diese der vollkommene Ausdruck einer starken Rasse. Der Offizier und der Beamte wurden in Vollendung gezüchtet, aber die Aufgabe, den entsprechenden politischen Typus zu züchten, wurde nicht erkannt. Die hohe Politik wurde »verwaltet«, die niedere war hoffnungsloses Gezänk. So wurden Heer und Verwaltung endlich Selbstzweck, seit mit Bismarck der Mann gegangen war, für den sie Mittel sein konnten auch ohne die Mitarbeit eines Stammes von Politikern, den nur eine Tradition erzeugt. Als mit dem Ausgang des Weltkriegs der Oberbau verschwand, blieben die nur zur Opposition erzogenen Parteien allein übrig und brachten die Regierungstätigkeit plötzlich auf ein Niveau herab, das unter zivilisierten Staaten bis jetzt unbekannt war.
    Aber der Parlamentarismus ist heute in vollem Verfall begriffen. r war
eine Fortsetzung der bürgerlichen Revolution mit andern Mitteln
, die Revolution des dritten Standes von 1789, in gesetzmäßige Form gebracht und mit ihrer Gegnerin, der Dynastie, zur Regierungseinheit verbunden. In der Tat ist jeder moderne Wahlkampf ein mit dem Stimmzettel und allen Mitteln der Aufreizung durch Rede und Schrift geführter Bürgerkrieg und jeder große Parteiführer eine Art bürgerlicher Napoleon. Diese auf Dauer berechnete Form, die ausschließlich der abendländischen Kultur angehört und in jeder andern sinnlos und unmöglich wäre, enthüllt wieder den Hang zum Unendlichen, die historische Voraussicht [Die Entstehung des römischen Tribunats ist ein blinder Zufall, dessen glückliche Folgen

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