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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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die »konstitutionelle Monarchie«, als deren äußerste Möglichkeit die Republik erscheint, so wie wir heute das Wort verstehen. Denn man muß sich endlich von dem Geschwätz der Doktrinäre befreien, die in zeitlosen und also wirklichkeitsfremden Begriffen denken und für welche »die Republik« eine Form an sich ist. So wenig England eine Konstitution im festländischen Sinne besitzt, so wenig hat das republikanische Ideal des 19. Jahrhunderts irgend etwas mit der antiken
res publica
oder auch nur mit Venedig und den Schweizer Urkantonen zu tun. Was
wir
so nennen, ist eine
Negation
, die das Verneinte mit innerer Notwendigkeit als beständig möglich voraussetzt. Es ist die Nichtmonarchie in Formen, die der Monarchie entlehnt sind. Das genealogische Gefühl ist im abendländischen Menschen so ungeheuer stark und straft sein Bewußtsein bis zu dem Grade Lügen, daß die Dynastie die gesamte politische Haltung bestimmt, auch wenn sie gar nicht mehr da ist. In ihr verkörpert sich das Historische, und unhistorisch können wir nicht leben. Es ist ein großer Unterschied, ob der antike Mensch das dynastische Prinzip aus dem Grundgefühl seines Seins heraus überhaupt nicht kennt oder ob es der abendländische Gebildete seit der Aufklärung und für die Dauer von etwa zwei Jahrhunderten aus abstrakten Gründen in sich niederzukämpfen sucht. Dies Gefühl ist der geheime Feind aller entworfenen und nicht gewachsenen Verfassungen, die im letzten Grunde nichts als Abwehrmaßregeln und aus Furcht und Mißtrauen geboren sind. Der Freiheitsbegriff der Stadt – frei sein
von
etwas – verengt sich bis zu einer lediglich antidynastischen Bedeutung; die republikanische Begeisterung lebt nur von diesem Gefühl.
    Zum Wesen einer solchen Verneinung gehört unvermeidlich ein Vorwiegen der Theorie. Während die Dynastie und die ihr innerlich nahestehende Diplomatie die alte Tradition, den Takt bewahren, haben in den Verfassungen Systeme, Bücher und Begriffe ein Übergewicht, wie es in England, wo der Regierungsform nichts Verneinendes und Defensives anhaftet, ganz undenkbar ist. Nicht umsonst ist die faustische Kultur die des Schreibens und Lesens. Das gedruckte Buch ist ein Sinnbild der zeitlichen, die Presse außerdem ein Sinnbild der räumlichen Unendlichkeit. Gegenüber der ungeheuren Macht und Tyrannei dieser Symbole erscheint selbst die chinesische Zivilisation beinahe schriftlos. In den Verfassungen wird die Literatur gegen die Kenntnis der Menschen und Dinge, die Sprache gegen die Rasse, das abstrakte Recht gegen die erfolgreiche Tradition angesetzt, ohne Rücksicht darauf, ob die Nation mitten im Strom der Ereignisse noch arbeitsfähig und in Form bleibt. Mirabeau hat ganz allein und vergeblich gegen eine Versammlung gekämpft, welche »die Politik mit einem Roman verwechselte«. Nicht nur die drei doktrinärsten Verfassungen des Zeitalters, die französische von 1791, die deutschen von 1848 und 1919, sondern so gut wie alle wollen das große Schicksal der Tatsachenwelt nicht sehen und glauben es damit widerlegt zu haben. Statt des Unvorhergesehenen, des Zufalls der starken Persönlichkeiten und Umstände soll die Kausalität herrschen, zeitlos, gerecht, immer derselbe verständige Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Es ist bezeichnend, daß kein Verfassungstext das Geld als politische Größe kennt. Sie enthalten sämtlich reine Theorie.
    Dieser Zwiespalt im Wesen der konstitutionellen Monarchie läßt sich nicht aufheben. Hier stehen Wirkliches und Gedachtes, Arbeit und Kritik schroff gegeneinander, und die wechselseitige Reibung ist das, was dem Gebildeten vom Durchschnitt als innere Politik erscheint. Nur in England – wenn man von Preußen-Deutschland und von Österreich absieht, wo anfangs eine Verfassung zwar vorhanden, aber der politischen Tradition gegenüber nicht sehr einflußreich war – erhielten sich Regierungsgewohnheiten aus einem Guß. Hier behauptete sich die Rasse gegenüber dem Prinzip. Man ahnte, daß wirkliche, das heißt ausschließlich auf den geschichtlichen Erfolg gerichtete Politik auf Zucht und nicht auf Bildung beruhe. Das war kein aristokratisches Vorurteil, sondern eine kosmische Tatsache, die in den Erfahrungen englischer Vollblutzüchter viel deutlicher hervortritt als in sämtlichen Philosophiesystemen der Welt. Bildung kann die Zucht verfeinern, aber nicht ersetzen. Und so werden die hohe englische Gesellschaft, die Schule von Eton, das Balliol College in Oxford die Stätten, wo

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