Der Untergang des Abendlandes
etwa Provinz Schensi.] der seinen Einfluß nach West und Süd über Tibet und Yünnan ausdehnt und die übrige Staatenwelt in weitem Bogen umklammert. Den Mittelpunkt der Gegnerschaft bildet das Königreich Tsu im taoistischen Süden, [Am mittleren Jangtsekiang.] von wo aus die chinesische Zivilisation langsam in die damals noch wenig bekannten Länder jenseits des großen Stromes dringt. Das ist in der Tat ein Gegensatz wie der zwischen Römertum und Hellenismus: dort der harte und klare Wille zur Macht, hier der Hang zur Träumerei und Weltverbesserung. 368–320 (antik etwa Zeit des Zweiten Punischen Krieges) steigert sich der Kampf zu einem ununterbrochenen Ringen der gesamten chinesischen Welt, mit Massenheeren, die bis zur äußersten Anspannung der Bevölkerungszahl aufgebracht werden. »Die Verbündeten, deren Länder zehnmal so groß waren als die von Tsin, wälzten umsonst eine Million Menschen heran. Tsin hatte immer noch Reserven in Bereitschaft. Von Anfang bis zu Ende fiel eine Million Mann«, schreibt Se-ma-tsien. Su-tsin, zuerst Kanzler von Tsin, der dann als Anhänger der Völkerbundsidee
(hoh-tsung)
zu den Gegnern überging, brachte zwei große Koalitionen zustande (333 und 321), die an innerer Uneinigkeit mit den ersten Schlachten zusammenbrachen. Sein großer Gegner, der Kanzler Dschang-yi, ein entschiedener Imperialist, war 311 nahe daran, die chinesische Staatenwelt zu freiwilliger Unterwerfung zu bringen, als ein Thronwechsel seine Kombination vereitelte. 294 beginnen die Feldzüge des Pe-ki. [Biographie 13 des Se-ma-tsien. Soweit man nach den übersetzten Berichten urteilen darf, erscheint Pe-ki durch die Vorbereitung und Anlage seiner Feldzüge, die Kühnheit der Operationen, durch welche er den Gegner auf das Gelände drängt, wo er ihn schlagen kann, und die neuartige Durchführung der einzelnen Schlachten als eins der größten militärischen Genies aller Zeiten, das wohl eine sachkundige Behandlung verdiente. Aus dieser Zeit stammt auch das einflußreiche Werk des Sun-tse über den Krieg: Giles,
Sun-tse on the art of war
(1910).] Unter dem Eindruck seiner Siege nimmt der König von Tsin 288 den mystischen Kaisertitel der Sagenzeit an, [Vgl. Bd. II, S. 946.] was den Anspruch auf Weltherrschaft zum Ausdruck bringt und von dem Herrscher von Tsi im Osten [Heute etwa Schantung und Petschili.] sofort nachgeahmt wird.
Damit beginnt ein zweites Maximum der Entscheidungskämpfe. Die Zahl der selbständigen Staaten wird immer kleiner. 255 verschwindet auch der Heimatstaat des Konfuzius, Lu, und 249 findet die Dschou-Dynastie ihr Ende. 246 wird der gewaltige Wang-dscheng als 13jähriger Knabe Kaiser von Tsin und führt mit Unterstützung seines Kanzlers Lui-schi, des chinesischen Mäcenas, Piton, Lü-pu-weih, China Rev. XIII, S. 365 ff. den Endkampf durch, in dem der letzte Gegner, das Reich von Tsu, 241 den letzten Angriff wagt. 221 hat er als tatsächlicher Alleinherrscher den Titel Schi (Augustus) angenommen. Das ist der Anfang der chinesischen Kaiserzeit.
Kein Zeitalter zeigt so deutlich wie das der kämpfenden Staaten die weltgeschichtliche Alternative:
große Form oder große Einzelgewalten
. In demselben Grade wie die Nationen aufhören, politisch in Verfassung zu sein, wachsen die Möglichkeiten für den energischen Privatmann, der politisch schöpferisch sein, der um jeden Preis Macht besitzen will und durch die Wucht seiner Erscheinung das Schicksal ganzer Völker und Kulturen wird. Die Ereignisse sind der Form nach voraussetzungslos geworden. An Stelle der gesicherten Tradition, die des Genies entbehren kann, weil sie selbst kosmische Kraft in höchster Potenz ist, tritt nun der Zufall großer Tatsachenmenschen; der Zufall ihres Aufstiegs führt ein schwaches Volk wie das makedonische über Nacht an die Spitze der Ereignisse und der Zufall ihres Todes kann die Welt aus persönlich gefestigter Ordnung unvermittelt in das Chaos stürzen, wie die Ermordung Cäsars beweist.
Das hat sich früher schon in den kritischen Übergangszeiten offenbart. Die Epoche der Fronde, der Ming-dschu, der ersten Tyrannis, wo man nicht in Form war, sondern um die Form kämpfte, hat jedesmal eine Reihe großer Gestalten heraufgeführt, die über alle Schranken eines Amtes hinauswuchsen. Die Wende von der Kultur zur Zivilisation tut es noch einmal im Napoleonismus. Mit diesem aber, der das Zeitalter der unbedingten geschichtlichen Formlosigkeit einleitet, bricht die eigentliche Blütezeit der großen Einzelnen
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