Der Untergang des Abendlandes
Frömmigkeit empor, die es aufgibt, ein neues Diesseits zu begründen, die statt der grellen Begriffe das Geheimnis sucht und es in den Tiefen der zweiten Religiosität [Vgl. Bd. II, S. 941 f.] auch endlich finden wird.
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Dies ist die eine, die sprachliche Seite der großen Tatsache Demokratie. Es bleibt übrig, die andere und entscheidende zu betrachten, die der Rasse. [Vgl. Bd. II, S. 689.] Die Demokratie würde in den Köpfen und auf dem Papier geblieben sein, wenn unter ihren Verfechtern nicht echte Herrennaturen gewesen wären, für die das Volk nichts als Objekt und die Ideale nichts als Mittel waren, so wenig sie sich dessen oft bewußt geworden sind. Alle, auch die unbedenklichsten Methoden der Demagogie, die innerlich ganz dasselbe ist wie die Diplomatie des
ancien régime
, nur statt auf Fürsten und Gesandte auf Massen, statt auf erlesene Geister auf wüste Meinungen, Stimmungen, Willensausbrüche hin angelegt, ein Orchester von Blechinstrumenten statt alter Kammermusik, sind von ehrlichen, aber praktischen Demokraten ausgebildet worden, und die Parteien der Tradition haben sie erst von ihnen gelernt.
Aber es kennzeichnet allerdings den Weg der Demokratie, daß die Urheber volkstümlicher Verfassungen niemals die tatsächliche Wirkung ihrer Entwürfe geahnt haben, weder der Schöpfer der »servianischen« Verfassung in Rom noch die Nationalversammlung in Paris. Da alle diese Formen nicht gewachsen sind wie das Lehnswesen, sondern ausgedacht, und zwar nicht auf Grund einer tiefen Kenntnis der Menschen und Dinge sondern abstrakter Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit, so klafft ein Abgrund zwischen dem Geist der Gesetze und den praktischen Gewohnheiten, die sich unter ihrem Druck in der Stille herausbilden, um sie dem Takt des wirklichen Lebens anzupassen oder fernzuhalten. Erst die Erfahrung hat gelehrt und erst am Ende der ganzen Entwicklung, daß Rechte des Volkes und Einfluß des Volkes zweierlei sind. Je allgemeiner das Wahlrecht, desto
geringer
wird die Macht einer Wählerschaft.
In den Anfängen einer Demokratie gehört dem Geiste das Feld allein. Es gibt nichts Edleres und Reineres als die Nachtsitzung des 4. August 1789 und den Schwur im Ballhause oder die Gesinnung in der Frankfurter Paulskirche, wo man mit der Macht in Händen so lange über allgemeine Wahrheiten beriet, bis die Mächte der Wirklichkeit sich gesammelt hatten und die Träumer beiseite schoben. Bald genug indessen meldet sich die andere Größe jeder Demokratie und mahnt an die Tatsache, daß man von verfassungsmäßigen Rechten nur Gebrauch machen kann, wenn man Geld hat. [Die frühe Demokratie, die der hoffnungsvollen Verfassungsentwürfe, die für uns etwa bis zu Lincoln, Bismarck und Gladstone reicht, muß diese Erfahrung
machen
; die späte, für uns die des reifen Parlamentarismus, geht von ihr aus. Da haben sich Wahrheiten und Tatsachen in Gestalt von Parteiideal und Parteikasse endgültig getrennt. Der echte Parlamentarier fühlt sich eben durch das Geld von der Abhängigkeit befreit, die in der naiven Auffassung des Wählers vom Gewählten enthalten ist.] Daß ein Wahlrecht annähernd leistet, was der Idealist sich dabei denkt, setzt voraus, daß es keine organisierte Führerschaft gibt, die in
ihrem
Interesse und im Maßstabe des verfügbaren Geldes auf die Wähler einwirkt. Sobald sie da ist, hat die Wahl nur noch die Bedeutung einer Zensur, welche die Menge den einzelnen Organisationen erteilt, auf deren Gestaltung sie zuletzt nicht den geringsten Einfluß mehr besitzt. Und ebenso bleibt das ideale Grundrecht abendländischer Verfassungen, das der Masse, ihre Vertreter frei zu bestimmen, bloße Theorie, denn jede entwickelte Organisation ergänzt sich in Wirklichkeit selbst. [Vgl. Bd. II, S. 1126.] Endlich erwacht ein Gefühl davon, daß das allgemeine Wahlrecht überhaupt kein wirkliches Recht enthält, nicht einmal das der Wahl zwischen den Parteien, weil die auf seinem Boden erwachsenen Machtgebilde durch das Geld alle geistigen Mittel der Rede und Schrift beherrschen und damit die Meinung des Einzelnen
über
die Parteien nach Belieben lenken, während sie andrerseits durch ihre Verfügung über Ämter, Einfluß und Gesetze einen Stamm unbedingter Anhänger züchten, eben den »Caucus«, der den Rest ausschaltet und ihn zu einer Wahlmüdigkeit führt, die endlich selbst in den großen Krisen nicht mehr überwunden werden kann.
Scheinbar besteht ein gewaltiger Unterschied zwischen der abendländischen,
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