Der Untergang
Moment lang nach und wandte sich dann mit
lauterer Stimme an Schulz, der ihnen zwar nachgekommen war, jedoch in drei oder vier Schritten
Entfernung dastand und misstrauisch zu ihnen hoch sah. »Warum überredet Ihr diesen jungen Narren
nicht, unsere Hilfe anzunehmen und bis Sonnenuntergang hier zu bleiben? Wir können ihn ebenso gut
pflegen wie Ihr.«
»Nein«, sagte Schulz hart. »Ich habe ihn gewarnt. Es war seine Entscheidung, uns zu begleiten. Und es ist
auch seine Entscheidung, ob er hier bleibt oder sein Leben riskiert, indem er mit uns zurück in die Stadt
kommt.«
Andrej resignierte. Das Gespräch begann sich im Kreis zu drehen, und er glaubte Flock mittlerweile auch
gut genug zu kennen, um zu wissen, dass er nicht nachgeben würde. Das Unheimliche war, dass er das
Gefühl hatte, dass Flock Recht hatte. Er konnte es nicht begründen. Es gab keinen Grund für diese
Überzeugung, aber sie war da, und sie schien mit jedem Atemzug stärker zu werden.
Er überzeugte sich noch einmal sorgsam davon, dass Flock halbwegs bequem auf seinem Lager aus Kissen
und Decken ruhte, dann sprang er vom Wagen und machte zwei Schritte zurück. Auf einen Wink von
Schulz hin kletterte einer der beiden Bewaffneten auf den Kutschbock und griff nach den Zügeln,
während der andere die Zügel der beiden jetzt überzähligen Reitpferde am hinteren Ende des Wagens
befestigte. Schulz saß indessen auf, dirigierte sein Pferd so neben den Wagen, dass es zwischen ihm und
Laurus und Andrej stand, und blickte sie beide abwechselnd von der Höhe des Pferderückens herab
eindringlich an.
»Ihr habt gehört, was ich gesagt habe«, mahnte er. »Ihr könnt hier bleiben und Euch im Bereich Eures
Lagers frei bewegen. Aber ich lasse jeden in Ketten legen, der versucht, es zu verlassen.«
»Ihr habt mein Ehrenwort«, sagte Laurus.
Was immer das wert sein mag, antwortete Schulz’ Blick.
Vielleicht lag es einfach daran, dass er jetzt wieder im Sattel saß und damit nicht nur größer, sondern auch
auf schwer in Worte zu fassende Weise Ehrfurcht gebietender aussah, dass Andrej den Eindruck hatte, er
hätte schon wieder eine Menge von seinem früheren Selbstbewusstsein und seiner Ruhe zurückgewonnen.
Dennoch war in seinen Augen noch immer ein leises, unstetes Flackern, ein Ausdruck von Verwirrung, der
vergeblich nach einem Grund suchte.
Ohne ein Wort des Abschieds ließ Schulz sein Pferd antraben, und der Wagen und der zweite Krieger
schlossen sich ihm an. Andrej wartete, bis sie das Lager zur Gänze durchquert und auf die Straße
eingebogen waren, dann wollte er sich herumdrehen und gehen, aber Laurus hielt ihn mit einer fast schon
groben Bewegung am Arm zurück.
»Wo willst du hin?«
»Ich muss mit Eurem Weib sprechen«, antwortete Andrej. Er versuchte, sich loszureißen, aber Laurus
hielt ihn mit erstaunlicher Kraft fest. Andrej konnte sich nicht erinnern, jemals einen Ausdruck von
solcher Entschlossenheit, aber auch nur noch mühsam unterdrücktem Zorn auf dem Gesicht des Sinti
gesehen zu haben.
»Reden?«, fragte Laurus.
»Was sonst?«, gab Andrej kühl zurück. Er setzte dazu an, sich nun wirklich loszureißen, führte die
Bewegung aber nicht zu Ende. Laurus würde ihn nicht loslassen. Er würde ihn zwingen müssen, und das
wollte er nicht. Noch nicht.
»Ich habe gewusst, dass mit dir das Unheil über uns kommt, Andreas«, sagte Laurus. »Schon im ersten
Moment, als ich dich gesehen habe, habe ich es gespürt. Du bringst den Tod.«
»Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz, wovon Ihr redet«, erwiderte Andrej. Ihm lagen schärfere,
herausforderndere Worte auf der Zunge, aber er spürte den brodelnden Zorn des Sinti, eine Wut, die nur
nach einem, und sei es noch so kleinem, Vorwand suchte, um auszubrechen. Er wollte keinen Kampf mit
diesem Mann. Fast sanft griff er nach Laurus’ Hand, löste seine Finger von seinem Arm und trat einen
Schritt zurück. »Ich will wirklich nur mit Elena reden«, sagte er.
»Nicht mehr.«
Laurus wich seinerseits einen Schritt vor ihm zurück, hob die Hand, die Andrej gerade von seinem Arm
gelöst hatte und betrachtete endlose Augenblicke lang seine immer noch halb geöffneten Finger. Ein
Ausdruck von Schmerz und Bitterkeit erschien in seinen Augen, den Andrej im ersten Moment nicht
verstand. Dann aber begriff er, dass er mehr getan hatte, als sich aus Laurus’ Griff zu befreien. Er hatte ihn
erniedrigt. Vielleicht mehr, als ihm das jetzt schon klar war. Aber jedes Wort der Entschuldigung hätte die
Situation nur noch
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