Der Untergang
hättest nach uns gesucht?« Sie schüttelte heftig den
Kopf. »Es ist genau umgekehrt, Andreas.
So lange ich lebe, haben wir nach einem Mann wie dir gesucht.«
Andrej war nicht ganz sicher, ob er verstand, was Elena meinte. Ob er es überhaupt verstehen wollte.
»Du bist nicht wie wir«, wiederholte Elena. Ihre Stimme begann zu zittern. Sonderbarerweise konnte er ihr
Gesicht immer noch nicht richtig erkennen, obwohl sie jetzt ganz dicht vor ihm stand, aber irgendwie
spürte er dennoch die Tränen, die ihre Augen füllten. »Oh Andreas, was war ich für eine Närrin, es dir
nicht sofort gesagt zu haben. Du hast Recht, wenn du mich dafür hasst. Ich hatte Angst davor.«
»Angst?«
»Es ist nicht das erste Mal, dass ich glaubte, jemanden wie dich gefunden zu haben«, antwortete Elena.
»Aber er war es nie.
Ich bin drei anderen begegnet, und ich habe mich dreimal der Hoffnung hingegeben und bin dreimal an
der Enttäuschung fast zerbrochen. Ich war nicht sicher, ob ich es ein weiteres Mal ertragen würde.« Und
endlich gab sie sich einen Ruck, machte einen letzten Schritt und warf sich ihm mit solcher Kraft an die
Brust, dass er wankte. Andrej konnte ihre heißen Tränen spüren, als sie das Gesicht gegen seine Wange
presste.
Es vergingen noch einige endlos quälende Sekunden, aber dann schloss er sie in die Arme und strich ihr
zärtlich mit der Hand über das Haar. Auch seine Augen wurde heiß und begannen zu brennen. Er verstand
den Grund für Elenas Tränen nicht, aber er wusste, dass sie echt waren, denn er konnte den unendlichen,
grausamen Schmerz spüren, der Elena schüttelte. Bei dem Gedanken, dass er der Grund für diesen
Schmerz sein könnte, schien auch in ihm etwas zu zerbrechen.
Wieder verging - diesmal wirklich - lange Zeit, bis Elena aufhörte, zu schluchzen, ihre Tränen versiegten
und sie sich schließlich aus seiner Umarmung löste und einen Schritt zurücktrat. Sie straffte sich, drehte
sich halb zur Seite und fuhr sich mit der linken Hand durch das Gesicht, um die Tränen fortzuwischen.
»Du bist nicht wie wir«, sagte sie, zum wiederholten Male, zwar mit festerer Stimme, aber immer noch
sehr leise. »Du bist alles, was wir je werden können, Andreas.«
»Du weißt nicht, was ich bin«, sagte er bitter.
»Ein Vampir«, antwortete Elena.
Andrej starrte sie an. Er sagte nichts. Sein Herz begann zu klopfen.
»Ich habe dir doch von den anderen erzählt, auf die wir gestoßen sind«, sagte Elena bitter. »Auch sie
waren Vampyre.
Unsterbliche wie du, die die Macht haben, die Leben anderer zu nehmen, um sich davon zu ernähren.«
»Es gibt keine Vampire«, sagte Andrej, fast schon automatisch, ganz einfach, weil er das immer sagte,
wenn das Gespräch auf dieses Thema kam - was in letzter Zeit öfter der Fall war, als er wahrhaben wollte.
»Das ist ein Ammenmärchen. Geschichten, die man erzählt, um Kinder zu erschrecken.«
Elena drehte sich langsam wieder zu ihm herum und sah ihm fest in die Augen. »Ich habe drei von ihnen
getroffen«, sagte sie. »Es ist kein Ammenmärchen.«
»Die drei, von denen du berichtet hast. Was ist geschehen?«
»Ich habe sie getötet«, antwortete Elena. Ihre Stimme war ganz leise und scheinbar beherrscht; aber tief
unter der Ebene des Hörbaren war noch etwas anderes darin, ein Schmerz, der zu groß war und zu tief
ging, um ihn mit Worten zu beschreiben. »Deshalb habe ich mich dir nicht gleich offenbart, Andreas.«
»Weil du Angst vor mir hattest?«
»Weil ich nicht sicher war, ob ich dich nicht auch würde töten müssen«, antwortete Elena. »Weil ich
verzweifelt gehofft habe, dass es diesmal anders sein könnte.«
»Und?«, fragte Andrej leise und bitter. »Ist es anders?«
»Du bist nicht wie sie«, antwortete Elena. Das war nicht wirklich eine Antwort auf seine Frage, und
Andrej war sehr sicher, dass das auch kein Zufall war. Aber er schwieg, bis Elena von sich aus weiter
sprach. »Es gibt nur sehr wenige von euch. Die meisten erliegen früher oder später der Verlockung der
Macht über Leben und Tod, Andreas. Vielleicht alle.«
»Ich nicht«, widersprach er.
»Noch nicht«, sagte Elena. Sie schüttelte heftig den Kopf, als er widersprechen wollte. »Sag nicht, dass du
es nicht auch schon gespürt hast. Du wärest kein Mensch, weil das Gift der Verlockung keine Wirkung auf
dich hätte. Bisher hast du ihm vielleicht widerstanden, aber wirst du es immer können? In zehn Jahren? In
hundert? Oder wortwörtlich auf ewig?«
Diesmal schien sie auf eine Antwort zu warten, und
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