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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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einer wütenden Antwort an, beließ es dann aber dabei, einige Sekunden lang die Kiefer
so fest aufeinander zu pressen, dass Abu Dun wahrscheinlich das Knirschen seiner Zähne hören konnte,
und drehte sich abrupt um. Mit geschlossenen Augen zählte er im Geiste bis zehn, dann atmete er hörbar
aus und wandte sich langsam wieder um. Abu Dun stand in unveränderter Haltung vor ihm und blickte ihn
an. In seinem Gesicht hatte sich kein Muskel gerührt.
»Also gut«, sagte Andrej, schärfer, als er beabsichtigt hatte, aber auch außer Stande, weiter Geduld zu
heucheln, wo keine war. Er hatte bis zu einem gewissen Maß Verständnis für Abu Duns Gefühle und
dessen Misstrauen. Aber dieses Maß war nun voll, und er kannte den Freund gut genug, um zu wissen,
dass er nichts gewann, wenn er ihm gegenüber immer wieder nachgab. »Ich dachte, wir könnten
vernünftig miteinander reden, aber es geht auch anders. Was du heute Morgen gesagt hast -«
»Wenn du darauf wartest, dass ich mich entschuldige, verschwendest du deine Zeit, Hexenmeister«, sagte
Abu Dun kalt.
»Das habe ich nicht erwartet«, sagte Andrej wahrheitsgemäß.
»Ich habe über deine Worte nachgedacht, und ich muss dir sagen, du irrst dich. Ich habe nicht vor, bei
diesen Leuten zu bleiben.«
»Es wäre deine Entscheidung«, sagte Abu Dun. Seine Miene war noch immer völlig unbewegt, und seine
Stimme so bar jeder Emotion, dass allein ihr Ton die Worte Lügen strafte.
»Das ist richtig«, sagte Andrej. »Es ist meine Entscheidung.
Und ich habe mich entschieden, nicht bei ihnen zu bleiben.«
»So schnell?« Abu Dun klang zweifelnd und auch irgend wie amüsiert. »Nach nur wenigen Stunden?«
»Ich hatte nie vor, den Rest meines Lebens als Zigeuner zu verbringen«, gab Andrej zurück. »Aber ich
werde für eine Weile bei ihnen bleiben, ja. Einige Tage, vielleicht auch Wochen oder Monate.« Er hob die
Schultern. »So lange, bis ich weiß, was ich wissen muss.«
Abu Dun nickte nachdenklich, wenngleich immer noch mit völlig ausdruckslosem Gesicht. »Anka hat dir
nicht gesagt, was du hören wolltest«, sagte er. Zum ersten Mal in diesem Dialog stahl sich die Andeutung
eines Gefühls auf seine Züge: Ein flüchtiges, leicht gequält wirkendes Lächeln. »Ich gebe zu, ich erinnere
mich nicht mehr ganz genau an unser Gespräch, aber es war-«
»Nicht das, was ich hören wollte«, sagte Andrej, »du hast Recht. Aber ich bin sicher, sie weiß mehr, als
sie mir verraten hat.
Ich muss noch einmal mit ihr reden. Vielleicht heute, vielleicht auch zu einem späteren Zeitpunkt.«
»Und dazu brauchst du meine Erlaubnis?«
Andrej begriff, dass Abu Dun ihn bewusst reizte. Nicht, um ihn freundschaftlich zu necken, wie er es so
oft tat, sondern wahrscheinlich mit der erklärten Absicht, einen Streit
vom Zaun zu brechen. Doch warum? »Nein«, sagte er. »Aber ich möchte nicht, dass du etwas tust, was du
später vielleicht bedauerst. Ich werde eine Weile bei diesen Leuten bleiben, und ich bitte dich, dasselbe zu
tun. Du bist ihnen ebenso willkommen wie ich.«
Plötzlich lachte Abu Dun; ein rauer, fast böse klingender Laut, der Andrej ärgerte. »Du bittest mich?«,
fragte er spöttisch. »Der große Andrej Delãny, der unbesiegbare Schwertkämpfer und Unsterbliche, bittet
mich um etwas?« Der Nubier schüttelte den Kopf. »Das ich das noch erleben darf!«
»Ich werde nicht vor dir auf die Knie fallen und deine schmutzigen Füße küssen«, sagte Andrej. »Aber ja,
ich meine es Ernst. Ich bitte dich darum, dich einfach für eine Weile zu gedulden, Nur so lange, bis ich
herausgefunden habe, was ich wissen will.«
»Du bist wirklich entschlossen, wie? Aber was, wenn dir das, was du am Ende herausfindest, nicht
gefällt?«
»Das Risiko muss ich eingehen«, sagte Andrej. »Genau wie du auch.«
»Ja, das scheint mir auch so«, seufzte Abu Dun. »Allein, weil du wahrscheinlich schon den nächsten Tag
nicht mehr erleben würdest, wenn ich nicht auf dich aufpasse.«
Gegen seinen Willen musste Andrej nun doch lachen. Kopfschüttelnd ging er zu seinem Pferd, schwang
sich in den Sattel und wartete, bis Abu Dun ebenfalls aufgesessen hatte. Sie sprachen nicht mehr, sondern
wendeten umständlich ihre Tiere auf dem schmalen Weg, und insbesondere Abu Dun achtete sorgsam
darauf, dass die Pferdehufe stets auf dem befestigten Untergrund blieben.
Der Blick seiner dunklen Augen wanderte missmutig über das flach daliegende Moor, über dem hier und
da blasser Dunst lag, Nebel, der zu dieser Tageszeit weder

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