Der Untergang
Der
Schnitt, den ihm der Junge zugefügt hatte, war nicht besonders tief.
Allmählich wurde Andrejs Furcht von nackter Panik abgelöst.
Er war unendlich weit davon entfernt zu verstehen, was hier vor sich ging, aber die Bedrohung, die von
diesen vermeintlichen Kindern ausging, hing in der Luft wie übler Gestank. Es war keine Gefahr
irgendeiner natürlichen Art.
Andrej ließ das Schwert sinken. Einen Moment lang blickte er die Waffe noch unschlüssig an, dann schob
er sie in die Scheide zurück und versuchte, den Blick des Jungen einzufangen.
»Ich weiß nicht, wer ihr seid, oder was ihr seid«, begann er ruhig.
»Aber wir sollten damit aufhören. Wir sind nicht wie die anderen, mit denen ihr es bisher vielleicht zu tun
gehabt habt, glaubt mir.«
»Das stimmt«, sagte der Junge gehässig. »Ihr wimmert, statt euch zu wehren.«
»Das könnten wir«, antwortete Andrej ernst. »Glaub mir, wir haben Möglichkeiten, uns zu wehren, die du
dir nicht einmal vorstellen kannst. Aber ich will dich nicht verletzen und deine Geschwister auch nicht.«
»Verletzen?« Der Junge lachte schrill. »Du kannst mich nicht verletzen, alter Mann. Niemand kann das.
Niemand kann uns wehtun, weißt du?« Wieder lachte er böse. Dann fuhr er sich mit dem Handrücken
über den Mund. Abu Dun hatte ihn so derb hin und her geschüttelt, dass seine Nase zu bluten begonnen
hatte.
Offensichtlich hatte er es bisher noch gar nicht bemerkt, denn nun blickte er den schmierigen Fleck auf
seinem Handrücken überrascht an.
»Ich blute«, murmelte er. Dann begann er zu schreien: »Du hast mir die Nase blutig geschlagen! Schlagt
sie tot! Schlagt die Schweine tot!«
Andrej spannte sich, als die vier Kinder gleichzeitig auf sie losstürmten. So wenig wie Abu Dun hatte er
bisher wirklich begriffen, wer sie waren, und vor allem, was sie waren. Und so wenig wie der Freund
wusste er, was er tun sollte. Das mit Abstand stärkste Gefühl, das er neben seiner Furcht empfand, war
Verwirrung.
Es waren das Mädchen und einer der beiden jüngeren Knaben, die sich auf ihn stürzten, während ihre
beiden Brüder Abu Dun attackierten. Der Araber allein war schwerer als diese vier Kinder zusammen.
Unbewaffnet konnten sie also nicht einmal den Hauch einer Bedrohung darstellen. Unglückseligerweise
war zumindest das Mädchen nicht unbewaffnet. Es hatte noch seinen Dolch, und im Gegensatz zu seinem
Bruder dachte es auch nicht daran, die Waffe fortzuwerfen.
Andrej blickte den Jungen, der sich mit beiden Armen an seine Knie geklammert hatte, um ihn zu Fall zu
bringen, noch verstört an, da hörte er auch schon das Reißen von Stoff. Im gleichen Moment spürte er den
grässlichen Schmerz, als sein Rücken vom Nacken bis hinunter zu den Nieren aufgeschlitzt wurde. Andrej
brüllte vor Qual, kippte nach vorn und versuchte noch im Fall sich zu drehen, um nicht aufs Gesicht zu
stürzen und einem weiteren heimtückischen Angriff hilflos ausgeliefert zu sein.
Es gelang ihm nicht. Er fiel auf die Seite. Aber es war dennoch ein glücklicher Sturz, denn der Junge, der
sich an sein Bein geklammert hatte, wurde davon geschleudert und landete in einem Gebüsch. Und auch
das Mädchen setzte nicht sofort nach, um die Sache zu Ende zu bringen, sondern ließ ihren Arm sinken
und blickte ihn nachdenklich an.
Andrej konnte nicht sehen, was sie ihm an Verletzungen zugefügt hatte, aber dem Schmerz nach zu
urteilen, musste die Wunde schlimm genug sein, um jeden normalen Menschen kampfunfähig zu machen,
wenn nicht zu töten.
Vermutlich hatte sie ihn gar nicht kurzerhand ausschalten wollen, sondern wünschte zuzusehen, wie er
sich quälte und dabei allmählich verblutete.
Andrej schloss für einen Moment die Augen und konzentrierte sich darauf, den Schmerz in seinem Rücken
abzuschalten. Dann rollte er mit einem übertrieben qualvollen Stöhnen herum. Erst jetzt brachte er die
Blutung zum Stillstand und befahl dem zerrissenen Fleisch in seinem Rücken, sich wieder
zusammenzufügen. Die Heilung setzte augenblicklich ein. Doch obwohl keine lebenswichtigen Organe
verletzt worden waren, war die Wunde groß, und es würde mehrere Minuten dauern, bis er wieder
gänzlich genesen war.
Doch genau in diesem Moment schien das Mädchen den Entschluss gefasst zu haben, dass es an der Zeit
war, das grausame Spiel zu beenden. Es sprang vor.
Andrej hatte genügend Messerattacken erlebt, um zu erkennen, dass der Stich genau auf sein Herz zielte,
und es wäre ihm trotz seiner Verletzung ein Leichtes gewesen, den Arm
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