Der Untergang
entsetzt über den Ton, in
dem er mit der alten Frau redete, aber als er weiter sprach, da klang seine Stimme sogar noch schärfer,
fordernder und fast ein wenig drohend. Er war sicher, dass Anka sich davon nicht beeindrucken ließ, aber
sein aufgesetzter Zorn half ihm, das Gespräch wieder in die gewünschte Richtung zu bringen. »Was immer
mit diesen Ratten war, sie waren nicht krank.«
»Und jetzt willst du wissen, ob es wirklich Elena war, die sie geschickt hat.«
»Unsinn!«, behauptete Andrej.
»Natürlich willst du das wissen!«, behauptete Anka. »Du belügst dich selbst, Unsterblicher. Du sagst, dass
es Unsinn ist, und du versuchst dir selbst einzureden, dass du nicht an das glaubst, was dieser närrische
Müller erzählt. Aber du bist nicht ganz sicher, so ist es doch? Vielleicht willst du ja sogar, dass sie eine
Hexe ist.«
»Warum sollte ich so etwas wollen?«, fragte Andrej unsicher.
»Weil es dir dann leichter fiele, ihrem Zauber zu widerstehen.
Was denkst du? Warum verbrennen Männer Frauen, die sie als Hexen bezeichnen? Nicht, weil sie
wirklich glauben, dass sie mit dem Teufel im Bunde sind. Niemand glaubt das. Sie verbrennen sie, weil sie
genau wissen, dass sie ihrem Zauber sonst erliegen würden. Weil es der einzige Weg ist, sie vor sich selbst
zu schützen. So wie auch du weißt, dass du Elena nicht widerstehen wirst.«
»Ich bin nicht wegen Elena hierher gekommen«, erwiderte Andrej lahm. Doch er wusste längst: Die alte
Frau, die da in der fast vollkommenen Dunkelheit vor ihm saß, mochte zwar blind sein, aber auf ihre Art
konnte sie besser sehen als die meisten anderen Menschen.
Anka ließ ein schmatzendes Geräusch hören. »Vielleicht nicht.
Aber sie ist nun einmal hier. Glaubst du denn, du wärest der Erste, dem es so erginge, du junger Narr? Ich
kann sie nicht sehen, aber ich habe Ohren, um zu hören, was die anderen sagen - und manchmal auch, um
das zu hören, was sie nicht sagen.
Willst du einen Rat von mir, Unsterblicher? Warte meinetwegen, bis dein Freund wieder zu Kräften
gekommen ist, aber dann geh. Du wirst die Antworten, nach denen du suchst, hier nicht bekommen, aber
du könntest etwas finden, an dem du zerbrichst.«
»Warum sollte ich dir glauben?«, fragte Andrej. »Bisher hast du keine meiner Fragen beantwortet, und
wenn, so nur in Rätseln.«
»Dann finde ihre Lösung«, riet ihm Anka. »Ich habe dir geantwortet, aber du hörst ja nicht zu. Wie die
meisten. Und nun geh. Lass mich allein. Ich bin müde und möchte schlafen.«
»Aber du -«
»Geh!«, wiederholte Anka. »Bason hat dir versprochen, dass du mit mir reden kannst, und du hast mit mir
geredet. Ich kann dir nicht antworten, wenn du mir nicht einmal die richtigen Fragen stellst. Du kannst ja
zurückkommen, wenn sie dir eingefallen sind.«
SIEBTES KAPITEL
Mehr verwirrt denn enttäuscht oder zornig war Andrej in seinen Wagen zurückgekehrt, und zu seiner
eigenen Überraschung war er nach einer Weile in einen unruhigen Schlaf gesunken. Ein Schlaf, aus dem er
erst lange nach Sonnenaufgang wieder erwachte; so wie am Vortag mit einem schlechten Geschmack im
Mund, mit Kopfschmerzen, schweißgebadet und mit der Erinnerung an sinnlose Bilder und Albträume, die
ihn gequält hatten. Obwohl er nicht unter einer dünnen Zeltbahn sondern unter dem hölzernen Dach eines
Wagens erwacht war, erschien ihm die Luft noch stickiger und heißer als gestern, und es fiel ihm deutlich
schwerer, die Nachwirkungen des Schlafs abzuschütteln und aufzustehen.
Als er den Wagen verließ, war das Sinti-Lager schon seit mehr als einer Stunde zum Leben erwacht, und
er war so betäubt, dass er fast wie ein Betrunkener taumelte, während er sich auf den Weg zum Bach
machte, um sich zu waschen.
Das eiskalte Wasser half, die Benommenheit und auch die Kopfschmerzen zu vertreiben, aber der üble
Geschmack in seinem Mund blieb, und auch die Erinnerung an die Albträume, die ihn geplagt hatten,
verschwand nicht völlig. Irgendetwas stimmte tatsächlich nicht mit ihm.
Er ließ sich deutlich mehr Zeit als nötig, ehe er die Richtung zu Laurus’ Wagen einschlug. Er wollte nach
Abu Dun sehen.
Vielleicht war es besser, dass er zugegen war, wenn der Nubier aus seiner Bewusstlosigkeit erwachte.
Die Tür des Wagens stand offen. Andrej klopfte an den Rahmen, wartete einen Moment vergeblich auf
eine Antwort und trat schließlich ein. Nach der schon jetzt fast unerträglichen Hitze, die draußen
herrschte, und hinter den vorgelegten Läden, war es hier drinnen angenehm
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