Der Untergang
nicht allzu viel davon, ein
Blatt vor den Mund zu nehmen. Das Gespräch versprach interessant zu werden.
Bevor Schulz antwortete, warf er Andrej einen fragenden Blick zu. Er schien zu wünschen, dass auch
Andrej sich setzte, doch stattdessen trat dieser ein Stück zurück und lehnte sich mit verschränkten Armen
gegen die Wand. Erst jetzt wurde ihm klar, warum er das getan hatte, und dass er einen ziemlich albernen
Anblick bieten musste, wie er nun die unverhohlen drohende Haltung des Bewaffneten vor der Tür
nachahmte. Sich jetzt hinzusetzen, hätte die Situation jedoch nur noch peinlicher gemacht, und so blieb er,
wo er war. »Also gut«, begann Schulz, nun wieder an Laurus gewandt. »Ihr könnt Euch vermutlich
denken, warum ich hier bin.«
»Kann ich das?«, fragte Laurus.
Schulz runzelte die Stirn. »Was gestern bei Handmanns Mühle passiert ist, war eine schlimme Sache«,
sagte er. »Pater Flock hat mir davon erzählt. Ich muss mich in unser aller Namen für Handmanns
Benehmen entschuldigen. Er ist ein sehr dummer Mann.« Der Blick, mit dem er Laurus maß, wurde ein
bisschen lauernd, fand Andrej. »Aber Pater Flock hat mir auch erzählt, was Euer Weib hinterher gesagt
hat.«
»So?«, fragte Laurus. »Und was soll das gewesen sein?«
»Sie soll gedroht haben, dass Handmanns Korn von den Ratten aufgefressen wird.«
Laurus wollte auffahren, aber Andrej kam ihm zuvor. »So hat sie das aber nicht gesagt.«
Laurus bedachte ihn mit einem ärgerlichen Blick, während sich Schulz stirnrunzelnd nun ein anderes Ziel
suchte. »Und was genau hat sie dann gesagt?«
Andrej war klar, dass es sich als schlimmer Fehler erweisen konnte, diesen Mann noch weiter zu reizen,
aber er hatte auch genug Erfahrung im Umgang mit Menschen wie Schulz, um zu wissen, dass sie
übertriebene Rücksichtnahme nur zu gerne als Schwäche auslegten. »Ich nehme an, Ihr habt mit Pater
Flock gesprochen«, antwortete er. »Dann wird er Euch auch gesagt haben, wie es wirklich war. Es war
Handmann, der sagte, er würde sein Korn lieber an die Ratten verfüttern, statt es uns zu verkaufen.«
»Und das Zigeunerweib hat gesagt, das könne er haben, richtig?«
Andrej hob die Schultern. »Wie hättet Ihr reagiert?«, fragte er leichthin.
»Vielleicht nicht anders«, gestand Schulz. »Aber vielleicht wären dann am nächsten Morgen nicht wirklich
Ratten gekommen, um sein ganzes Korn aufzufressen.«
»Manchmal sollte man eben vorsichtig mit dem sein, was man sich wünscht«, warf Laurus böse ein.
Andrej fuhr sichtbar zusammen. Was dachte sich der Sinti nur dabei?
»Ich weiß nicht genau, wer Ihr seid, Schulz, und was Ihr von uns wollt«, fuhr Laurus fort. »Aber Ihr
scheint mir ein vernünftiger Mann zu sein. Ihr glaubt doch diesen Unsinn von Hexerei und Flüchen nicht
wirklich, den dieser Narr erzählt?«
Wider Erwarten blieb Schulz ruhig: »Wenn ich das glauben würde, dann lägt Ihr alle schon längst in
Ketten«, sagte er.
»Dennoch müsst Ihr zugeben, dass dies alles ein sonderbarer Zufall ist.« Er machte eine Kopfbewegung in
Andrejs Richtung.
»Wir haben uns die Tiere angesehen, die Andreas und seinen Sarazenenfreund um ein Haar getötet hätten.
Ich habe zwei der toten Ratten mit in die Stadt genommen und sie dem Apotheker gezeigt. Er konnte
weder Anzeichen von Tollwut, noch irgendeine andere Krankheit bei ihnen entdecken.«
»Und das ist natürlich der Beweis dafür, dass Elena sie verhext hat«, meinte Laurus höhnisch.
»Nein«, sagte Schulz. »Nur der Beweis dafür, dass hier irgend etwas … seltsames vorgeht.«
Laurus schnaubte abfällig. »Ich verstehe. Die Zigeuner sind in der Stadt, und alles, was passiert, ist fortan
ihre Schuld, nicht wahr? Sagt, Schulz, haben die Frauen schon die Wäsche von der Leine genommen und
die Kinder im Haus eingesperrt?«
Es fiel Andrej immer schwerer, sich zu beherrschen. Er verstand einfach nicht, was in Laurus gefahren
war. Der Sinti schien es regelrecht darauf anzulegen, Schulz zu provozieren.
»Ihr schätzt mich falsch ein«, sagte Schulz ruhig, aber mit einer Kälte in der Stimme, die Laurus zu denken
geben sollte, wie Andrej inständig hoffte. »Ich habe nichts gegen Fremde, ganz egal, wer sie sind, woher
sie kommen, und was für Sitten und Gebräuche sie auch haben mögen. Nicht, solange sie uns in Ruhe
lassen und den Frieden unserer Stadt nicht stören. Wären es nur diese Ratten, dann wäre ich nicht hier.
Um ehrlich zu sein, gibt es nicht wenige in der Stadt, die Handmann von Herzen gönnen, was
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