Der Unterhändler
den vier Pfosten festgebunden. McCrea war in der Unterhose und stand mit dem Rücken zur Tür. Von seiner rechten Hand baumelten zwei kräftige Schnüre.
Er lächelte noch immer. Quinn erspähte sein Gesicht in dem Spiegel über der Kommode. McCrea hörte einen Schritt und drehte sich um. Die Kugel traf ihn im Bauch, zwei Zentimeter oberhalb des Nabels. Auf ihrem Weg durchschlug sie das Rückgrat. Als er zusammenbrach, verschwand das Lächeln.
Zwei Tage lang wurde Sam wie ein Kind von Quinn gepflegt. Die lähmende Furcht, die sie erlebt hatte, ließ sie abwechselnd erschauern und weinen, während Quinn sie in den Armen hielt und hin und her wiegte. Die übrige Zeit schlief sie, und der Schlaf, dieser große Heiler, tat seine wohltuende Wirkung.
Als Quinn glaubte, sie allein lassen zu können, fuhr er nach St. Johnsbury und rief den Chef der Personalabteilung des FBI an, bei dem er sich als Sams Vater ausgab. Er teilte dem arglosen Mann mit, sie sei bei ihm zu Besuch und habe sich eine schwere Erkältung zugezogen. In drei oder vier Tagen werde sie wieder an ihrem Schreibtisch sein.
In der Nacht, während sie schlief, verfaßte er die zweite und wahrheitsgemäße Darstellung der Geschehnisse während der zurückliegenden siebzig Tage. Er erzählte die Geschichte aus seiner eigenen Sicht, wobei er nichts ausließ, auch nicht die von ihm begangenen Fehler. Dies konnte er ergänzen durch das, was ihm der KGB -General in London erzählt hatte. In den Blättern, die Moss gelesen hatte, war davon nicht die Rede gewesen; Quinn hatte noch nicht jenen Punkt erreicht, als Sam ihm mitgeteilt hatte, der DDO wolle sich mit ihr treffen.
Dann stellte er die Ereignisse aus dem Blickwinkel der Söldner dar, so wie Zack sie vor seinem Tod geschildert hatte, und schließlich nahm er auch die Antworten auf, die Moss selbst ihm gegeben hatte. Er hatte alles beisammen – beinahe alles.
Der zentrale Drahtzieher war Moss gewesen, gesteuert von seinen fünf Auftraggebern. Die notwendigen Informationen hatte Moss von zwei Männern erhalten: Orsini, der ihn aus dem Versteck der Kidnapper, und McCrea, der ihn aus der Wohnung in Kensington auf dem laufenden hielt. Aber es hatte noch einen Dritten gegeben, jemand, der alles gewußt hatte, was die Verantwortlichen in England und Amerika wußten, jemand, der den Fortgang der Ermittlungsarbeit Nigel Cramers für Scotland Yard und Kevin Browns für das FBI verfolgt hatte, dem die Ergebnisse der Beratungen des COBRA -Komitees in England und der Gruppe im Weißen Haus bekannt gewesen waren. Wer er gewesen war, diese Frage hatte Moss als einzige nicht beantwortet.
Quinn schleifte Moss’ Leiche aus der Bergwildnis zur Hütte und legte sie im Holzschuppen neben die McCreas. Beide waren so starr wie die Kiefernholzscheiben, zwischen denen sie lagen. Er filzte die Taschen der Toten und besichtigte dann seine Beute. Nichts war für ihn von Wert, außer vielleicht das Notizbuch mit den Telefonnummern aus Moss’ innerer Brusttasche.
Moss war ein Mann gewesen, der sich nicht in die Karten schauen ließ, eine Haltung, durch jahrelanges Training und ein Leben am Rande der Gesellschaft eingeübt. Das steife Büchlein enthielt mehr als 120 Telefonnummern, aber jede war nur mit Initialen oder einem Vornamen markiert.
Am Morgen des dritten Tages kam Sam, nachdem sie ununterbrochen zehn Stunden ohne Alpträume geschlafen hatte, aus dem Schlafzimmer.
Sie kuschelte sich auf seinen Schoß und lehnte den Kopf an seine Schulter.
»Wie fühlst du dich jetzt?« fragt er.
»Gut. Ich bin wieder okay, Quinn. Wohin fahren wir jetzt?«
»Wir müssen nach Washington zurück«, sagte er. »Das Schlußkapitel wird dort geschrieben werden. Ich brauche deine Hilfe.«
»Die bekommst du«, sagte sie.
An diesem Nachmittag ließ er das Feuer im Ofen ausgehen, säuberte die Hütte, stellte die Gasanschlüsse ab und verschloß die Tür. Moss’ Gewehr und den 45er Colt, mit dem McCrea herumgefuchtelt hatte, ließ er zurück. Das Notizbuch hingegen nahm er mit.
Auf dem Weg ins Tal koppelte er den Dodge Ram, der auf der Fahrt zur Hütte stehengelassen worden war, hinten an den Renegade an und schleppte ihn nach St. Johnsbury hinein. Dort war man in der Reparaturwerkstatt gern bereit, das Fahrzeug wieder in Gang zu bringen, und Quinn überließ es den Leuten, den Jeep mit den kanadischen Nummernschildern möglichst günstig zu verkaufen.
Dann fuhren sie mit dem Renegade zum Flughafen Montpellier, gaben ihn zurück
Weitere Kostenlose Bücher