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Der Untertan

Der Untertan

Titel: Der Untertan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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seiner Arme auf ihrem Rücken ward immer kraftloser... Sie bewegte sich: er wußte, nun wartete sie nicht mehr. Und sie lösten sich voneinander, ohne sich anzusehen. Diederich schlug plötzlich die Hände vor das Gesicht und schluchzte. Sie fragte nicht, weshalb; sie strich ihm tröstend über das Haar. Das währte lange.
    Über ihn hinweg, ins Leere, sagte Agnes: »Hab ich denn geglaubt, daß es dauern würde? Es mußte schlimm enden, weil es so schön war.«
    Er fuhr auf, verzweifelt. »Es ist doch nicht aus!« Sie fragte: »Glaubst du an das Glück?«
    »Wenn ich dich verlieren soll, nicht mehr!«
    Sie murmelte: »Du wirst fortgehen, hinaus in das Leben, und mich vergessen.«
    »Lieber sterben!« — und er zog sie an sich. Sie flüsterte an seiner Wange: »Sieh, wie breit hier das Wasser ist, ein See. Unser Boot hat sich von selbst losgemacht und uns hinausgeführt. Weißt du noch, jenes Bild? Und der See, auf dem wir schon einmal im Traum fuhren? Wohin wohl?« Und noch leiser: »Wohin mit uns?«
    Er antwortete nicht mehr. Ganz umschlungen und die Lippen aufeinander, senkten sie sich rückwärts immer tiefer über das Wasser. Drängte sie ihn? Zog er sie? Niemals waren sie so sehr eins gewesen. Diederich fühlte: nun war es gut. Er war, mit Agnes zu leben, nicht edel genug gewesen, nicht gläubig, nicht tapfer genug. Jetzt hatte er sie eingeholt, nun war es gut.
    Plötzlich, ein Stoß: sie schnellten in die Höhe. Diederich hatte so viel Kraft gebraucht, daß Agnes von ihm fort und zu Boden fiel. Er strich sich über die Stirn. »Was haben wir denn da —« Noch kalt vom Schrecken und als sei er beleidigt, sah er weg von ihr. »So unvorsichtig darf man nicht sein beim Bootfahren.« Er ließ sie allein aufstehen, griff sogleich nach den Rudern und arbeitete sich rasch zurück. Agnes hielt das Gesicht nach dem Ufer gewendet. Einmal wollte sie zu ihm hinsehen; aber sein Blick traf sie so mißtrauisch und hart, daß sie zusammenfuhr.
    In der sinkenden Dämmerung gingen sie, immer schneller, die Landstraße zurück. Zuletzt liefen sie fast. Und erst als es dunkel genug war, daß sie ihre Gesichter nicht mehr deutlich erkannten, sprachen sie. Morgen früh kam Herr Göppel vielleicht heim. Agnes mußte heim... Wie sie beim Wirtshaus ankamen, pfiff in der Ferne schon der Zug. »Nicht mal mehr essen kann man!« sagte Diederich mit künstlicher Unzufriedenheit. Hals über Kopf die Sachen holen, zahlen und fort. Der Zug fuhr ab, kaum daß sie drin waren. Ein Glück, daß sie Atem zu schöpfen und die eiligen Geschäfte der letzten Viertelstunde zu besprechen hatten. Das letzte Wort darüber war gefallen, und nun saß jeder da, allein bei trüber Lampe und betäubt wie nach einem großen Mißerfolg. Das dunkle Land da draußen, hatte es einmal gelockt und Gutes versprochen? Das sollte erst gestern gewesen sein? Man fand nicht zurück. Kamen nicht endlich die Lichter der Stadt und befreiten einen?
    Bei der Ankunft waren sie darüber einig, daß es sich nicht verlohne, in denselben Wagen zu steigen. Diederich nahm die Trambahn. Hände und Augen streiften sich nur.
    »Uff!« machte Diederich, als er allein war. »Das wäre erledigt.« Er sagte sich: ›Es hätte ebensogut schiefgehen können.‹ Und mit Empörung: ›So eine hysterische Person!‹ Sich selbst würde sie sicher am Boot festgehalten haben. Er hätte das Bad allein nehmen müssen. Auf den ganzen Trick war sie doch nur verfallen, weil sie durchaus geheiratet werden wollte! ›Die Weiber sind zu gerissen, und sie haben keine Hemmungen, da kommt unsereiner nun mal nicht mit. Diesmal hat sie mich, weiß Gott, noch ärger an der Nase herumgeführt als damals mit Mahlmann. Na, mir soll es eine Lehre für das Leben sein. Nun aber Schluß!‹ Und festen Schrittes ging er zu den Neuteutonen. Fortan verbrachte er jeden Abend dort, und am Tage büffelte er für das mündliche Examen, aber zur Vorsicht nicht zu Hause, sondern im Laboratorium. Wenn er dann heimkam, ward ihm das Steigen der Stockwerke schwer, er mußte sich gestehen, daß er Herzklopfen habe. Zögernd öffnete er die Zimmertür: — nichts; und nachdem ihm anfangs leichter geworden war, kam es schließlich doch jedesmal dazu, daß er die Wirtin fragte, ob jemand dagewesen sei. Niemand war dagewesen.
    Nach vierzehn Tagen aber kam ein Brief. Er hatte ihn geöffnet, bevor er es bedachte. Dann wollte er ihn ungelesen in den Schreibtisch werfen — zog ihn aber wieder hervor und hielt ihn weit fort vom Gesicht.

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