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Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Titel: Der untröstliche Witwer von Montparnasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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länger stören. Ich lasse Ihnen meine persönliche Nummer in Paris da, falls Sie sie brauchen sollten.«
    »Brauche ich nicht«, sagte Bonnot und schüttelte den Kopf. »Ich habe Ihnen gesagt, was Sie wissen wollten, mehr kann ich nicht für Sie tun. Die Gesichter, die Sie mir gestern gezeigt haben, sagen mir immer noch nichts.«
    Louis schlenderte zurück zu seinem Wagen. Es war erst zwölf, er hatte noch Zeit, im Kommissariat vorbeizugehen und Pouchet einen Besuch abzustatten. Louis hielt es für richtig und notwendig, ihn über seine Fortschritte auf dem laufenden zu halten. Er würde mit ihm über die Fortpflanzung der Einhufer und den Mord von Nevers diskutieren. Es gab gute Chancen, daß es Pouchet gewesen war, der Bonnot damals vernommen hatte.
     
    Um Viertel nach drei begab sich Louis zu dem von Marc angegebenen Treffpunkt. Marc stand auf der alten Brücke, beugte sich über die steinerne Brüstung und beobachtete das Fließen der Loire. Louis hupte und öffnete die Tür, ohne sich von seinem Sitz zu rühren. Marc schreckte auf, lief zum Auto, stieg ein, und Louis fuhr wortlos wieder an.
    Mehr um Marc aus seinen Träumen zu reißen als um ihn zu informieren, schilderte ihm Louis ausführlich sein Gespräch mit dem Feigen Patissier und dann sein Mittagessen mit Pouchet. Pouchet hatte tatsächlich damals die Zeugen vernommen. Aber zu keinem Augenblick war von einem Lippenstift die Rede gewesen. Louis hatte vier Bier bezahlt, und sie hatten auf die Gesundheit aller künftigen Maultierbabys angestoßen.
    »Wie bitte?« fragte Marc.
    »Es ging um eine Wette. Das große Mysterium der Maultier-Zeugung, weißt du, diese dicken, kräftigen Esel.«
    »Wo ist da das Geheimnis?« fragte Marc unschuldig. »Die Maultiere sind die Nachkommen von Eseln und Stuten. Im umgekehrten Fall handelt es sich um Maulesel. Worum ging's bei der Wette?«
    »Um nichts«, erwiderte Louis und konzentrierte sich auf die Straße.
     

36
     
    Nachdem er Marc vor der Bruchbude abgesetzt hatte, fuhr Louis auf direktem Wege zur Rue de l'Université. Die Stimme des alten Clairmont hallte aus der Gegensprechanlage.
    »Kehlweiler«, sagte Louis. »Ist Paul Merlin nicht da?«
    »Nein. Den ganzen Abend weg.«
    »Das paßt ausgezeichnet. Ich komme auch Ihretwegen.«
    »Aus welchem Anlaß?« fragte Clairmont mit dem herablassenden Unterton, den er häufig anschlug.
    »Claire Ottissier, eine Frau, die in Nevers gestorben ist.«
    Kurzes Schweigen.
    »Das sagt mir nichts«, meinte der Alte.
    »Sie steht in Ihrer Werkstatt, den Kopf zur Pendeluhr gedreht. Sie haben sie geschnitzt.«
    »Ach so! Die ist das? Entschuldigen Sie, ich erinnere mich nicht an alle Namen. Was ist damit?«
    »Machen Sie mir nun auf?« fragte Louis etwas lauter. »Oder ist Ihnen lieber, daß wir vor allen Passanten über Ihre nekrophile Kunst reden?«
    Clairmont betätigte den Türöffner, und Louis ging zu ihm in die Werkstatt. Der Bildschnitzer saß mit bloßem Oberkörper und qualmender Zigarette zwischen den Lippen auf einen hohen Schemel. Mit einem kleinen Holzmeißel kerbte er das Haar der Figur aus, an der er gerade arbeitete.
    »Wir machen's schnell«, sagte Louis. »Ich hab's ein bißchen eilig.«
    »Ich nicht«, erwiderte Clairmont und ließ einen Holzspan fallen.
    Louis nahm einen Stapel Fotos von der Werkbank, setzte sich Clairmont gegenüber auf einen hohen Schemel und begann rasch die Fotos durchzublättern.
    »Tun Sie sich keinen Zwang an«, sagte Clairmont.
    »Wonach suchen Sie sich die Frauen aus, die Sie schnitzen? Nach ihrer Schönheit?«
    »Ganz egal. Alle Frauen sind in Wirklichkeit nur eine einzige.«
    »Mit Lippenstift oder ohne Lippenstift?«
    »Ganz egal. Ist das von Bedeutung?«
    Louis legte den Stapel wieder auf die Werkbank.
    »Aber was für welche suchen Sie sich bevorzugt aus? Tote? Ermordete?«
    »Nicht bevorzugt. Es ist vorgekommen, daß ich ein paar Opfer verewigt habe. Das leugne ich nicht.«
    »Weshalb?«
    »Ich glaube, das habe ich Ihnen bereits gesagt. Um sie zu verewigen und um ihre Qual zu würdigen.«
    »Macht Ihnen das Vergnügen?«
    »Gewiß.«
    »Wie viele Opfer haben Sie auf diese Weise ... ›gewürdigt‹?«
    »Ich würde sagen, sieben oder acht. Da war die erwürgte Frau vom Bahnhof in Montpellier, die beiden jungen Mädchen in Arles, die Frauen in Nevers, als ich dort wohnte ... In letzter Zeit habe ich keine mehr gemacht. Ich glaube, es beginnt mich zu langweilen.«
    Clairmont schlug mit dem Hammer auf den Meißel und löste einen

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