Der untröstliche Witwer von Montparnasse
langen Span ab.
»Sonst noch was?« fragte er, während er seine Kippe im Sägemehl ausdrückte.
Louis deutete auf die Zigaretten, und der Alte reichte ihm eine.
»Ich habe vor, Sie wegen der Vergewaltigung und der Ermordung von Nicole Verdot und dem Mord an Claire Ottissier festnehmen zu lassen«, sagte Louis und ließ sich von Clairmont Feuer geben. »In der Zwischenzeit prüfe ich weitere Anklagepunkte.«
Clairmont schüttelte das Streichholz, lächelte und machte sich wieder an das Haar aus Holz.
»Lächerlich«, sagte er.
»Darum geht es nicht. Die Statuetten der beiden Opfer und Ihre Anwesenheit vor Ort werden Kommissar Loisel leicht überzeugen, vor allem, wenn ich ihn darum bitte. Er kümmert sich um den Scherenmörder und ist auf hundertachtzig. Er lechzt nach einem Schuldigen.«
»Was soll das miteinander zu tun haben?«
»Claire ist das erste Opfer des Mörders - nach Nicole Verdot, aber Nicole gehört nicht zu der Serie. Sie ist gewissermaßen eine Art Vorspiel.«
Im Gesicht des Bildhauers zeigte sich leichte Verwirrung.
»Haben Sie die Absicht, mir das alles anzuhängen? Wegen meiner Statuetten? Sind Sie verrückt, oder was?«
»Sie verstehen meinen Plan nicht. Es gibt, ganz wie Sie sagen, keinen dringenden Tatverdacht, und die Bullen werden Sie nach achtundvierzig Stunden wieder laufen lassen - die übrigens nicht spaßig sein werden. Aber wenn Sie wieder zurück sind, hat das Übel seinen Lauf genommen: Ihr Schwiegersohn wird Sie auf immer verdächtigen, an der Vergewaltigung und Ermordung von Nicole beteiligt gewesen zu sein. Das ist nur Verleumdung, aber von so einem Verdacht bleibt immer was hängen. Sogar soviel, daß er Sie rausschmeißen wird, falls Sie das Glück haben, daß er Sie nicht vorher mit Ihrer Stichsäge zerlegt. Und da Sie ausschließlich von seiner Kohle leben, werden Sie im Elend verrecken.«
Louis erhob sich und ging durch die Werkstatt, die Hände auf dem Rücken.
»Ich lasse Sie nachdenken«, sagte er ruhig.
»Und wenn mir Ihr Plan nicht gefällt?« fragte der Alte und runzelte besorgt die Stirn.
»Dann werden Sie mir alles erzählen, was Sie über die Vergewaltigung von Nicole Verdot wissen, und ich werde meinen Plan vorläufig vergessen. Denn Sie wissen etwas. Entweder waren Sie dabei, oder Sie wissen etwas. Ihre Bude lag keine zwanzig Meter vom Tatort entfernt.«
»Meine Bude war hinter den Bäumen. Ich habe geschlafen, das habe ich schon gesagt.«
»Es ist ganz Ihre Entscheidung. Aber machen Sie schnell, ich habe nicht die ganze Nacht Zeit.«
Clairmont preßte beide Hände auf den Schädel seiner Statue, senkte den Kopf und seufzte.
»Das sind brutale Methoden«, knurrte er.
»Ja.«
»Ich habe nichts damit zu tun, weder mit der Vergewaltigung noch mit dem Verbrechen.«
»Ihre Version?«
»Da war Rousselet, der Student, der in der Loire ertrunken ist. Und der Gärtner.«
»Vauquer?«
»Nein, nicht der Trottel, der andere.«
»Thevenin? Der ›Schnitter‹?« fragte Louis mit leichtem Schauder.
»Ganz genau, der ›Schnitter‹. Und noch ein dritter Typ.«
»Wer?«
»Ich hab ihn nicht erkannt. Rousselet hat Nicole vergewaltigt, der ›Schnitter‹ hatte keine Zeit mehr. Der Dritte hat nichts gemacht.«
»Woher wissen Sie das?«
Clairmont zögerte.
»Na los«, knurrte Louis.
»Ich habe alles von meinem Fenster aus gesehen.«
»Und Sie haben sich nicht gerührt?«
Clairmont packte den Kopf seiner Statue.
»Nein, ich habe zugesehen. Mit meinem Fernglas.«
»Großartig. Haben Sie deshalb den Bullen gegenüber nichts gesagt?«
»Natürlich.«
»Selbst als Vauquer verdächtigt wurde?«
»Er ist sofort wieder freigelassen worden.«
Louis ging wortlos im Raum umher und umkreiste langsam die Werkbank.
»Was beweist mir, daß nicht Sie der dritte Mann sind?«
»Ich war es nicht«, erwiderte Clairmont heftig. »Es war ein Unbekannter. Ein Voyeur, sicher ein Bekannter des ›Schnitters‹. Wenn Sie ihn finden wollen, müssen Sie bei ihm weitersuchen.«
»Was wissen Sie darüber?«
»Zwei Tage später habe ich den ›Schnitter‹ in einem Bistrot in Nevers gesehen. Er war sternhagelvoll und haute an der Bar große Summen raus. Das hat mich stutzig gemacht, ich habe ihn eine Zeitlang beobachtet. Die Kohle hat mindestens einen Monat gereicht, ohne das zu berücksichtigen, was er sicher zur Seite gelegt hatte. Ich habe mir immer gedacht, daß er für die Vergewaltigung bezahlt worden ist, ordentlich bezahlt, und Rousselet genauso - und zwar von
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