Der unvermeidliche Tod des Lewis Winter
Winter würde allen erzählen, dass Calum hinter ihm her ist. Wenn er dann plötzlich tot umfällt, weiß jeder, wer’s war.
Calum wird nicht riskieren, ihm nahezukommen. Er wird nicht mal riskieren, dieselbe Bar zu betreten, auch wenn Winter ihn vermutlich nicht sehen oder es gegebenenfalls als Zufall betrachten würde. Calum geht die Straße lang und sucht ein Gebäude auf der anderen Seite, von dem man den Eingang der Bar im Blick hat. Hier steht eine Pommesbude, doch das ist bloß eine kurzfristige Lösung, und sein Magen rebelliert schon. Er findet nur eine Gasse, in die er sich stellen kann. Dunkel und feucht, ein Ort, den andere vielleicht für unschöne Zwecke benutzen. Für alle anderen unsichtbar, steht Calum da und beobachtet. Er kann den Eingang der Bar sehen. Von anderen darf er nicht gesehen werden. Niemand darf mitkriegen, dass er die Bar beobachtet, in der ein bald toter Drogendealer sitzt und trinkt. So was kommt vor Gericht immer raus. Die Videoüberwachung macht ihm keine Sorgen. Vielleicht hat ihn eine der Kameras auf der Straße aufgenommen, doch in der Gasse sieht sie ihn nicht. Die Polizei überprüft das sowieso nicht. Er legt Winter frühestens in achtundvierzig Stunden um. Und am Tag davor wird er darauf achten, genügend Abstand zu halten.
Sein Magen macht Geräusche, die ihm nicht gefallen. Der Gestank in der Gasse ist auch nicht gerade hilfreich. Nichts Besonderes, nur so ein ekelhafter Geruch. Eine Mischung aus allem Widerlichen im Leben, in den Ecken zusammengedrängt. Er versucht, eine Weile die Luft anzuhalten, aber auch das hilft nicht viel. Hoffentlich wird der Abend nicht so lang. Er hat keine Lust, sein Erbrochenes in der Gasse zu hinterlassen. Das ist die Gefahr bei so einer Sache. Wenn man ein Opfer den ganzen Tag beobachtet, muss man essen, was man kriegt. Man isst im Wagen, man trinkt im Wagen. Calum zieht die Grenze, wenn’s darum geht, im Wagen Wasser zu lassen, doch er weiß von Leuten, die beim Beschatten in eine Flasche gepinkelt haben. Man isst ungesundes Zeug. Sitzt stundenlang reglos da. Das führt mit Sicherheit zu einem Desaster.
Die Gasse erweist sich allmählich als eine schlechte Idee. Wenn jemand aus einer Bar gewankt kommt und sich übergeben muss, würde er’s in dieser Gasse tun. Auch wenn jemand aus einer Bar gewankt kommt und pinkeln muss. Oder wenn ein Paar aus einer Bar gewankt kommt und ein bisschen allein sein will. Leute gehen vorbei, sehen ihn nicht. Nach vierzig Minuten kommen Winter und Cope wieder nach draußen. Verdammte Erleichterung, die beiden zu sehen! Sie gehen die Straße lang, scheinen nach keinem Taxi Ausschau zu halten. Calum wartet, beobachtet sie und nimmt dann zu Fuß die Verfolgung auf. Sie haben ein paar Drinks intus, sind aber nicht betrunken. Noch nicht. Auf dem besten Weg, aber noch ist es nicht so weit. Im Gehen unterhalten sie sich. Cope redet am meisten und bestimmt das Gespräch. Sie wirken glücklich. Zumindest zufrieden. Calum folgt ihnen zwei Straßen weit zu einem Nachtclub. Diesmal eher ihr Geschmack als seiner. Sie verschwinden darin. Calum bleibt draußen stehen und denkt nach. Großes Kommen und Gehen. Die beiden könnten stundenlang dort bleiben. Wenn er reingeht, nehmen ihn mit Sicherheit die Überwachungskameras auf. Das Risiko wird er nicht eingehen. Er könnte die ganze Zeit draußen warten, aber dann müsste er stehen. In der Nähe ist keine Parklücke frei, und jemand, der stundenlang draußen rumsteht, zieht Aufmerksamkeit auf sich. Hat keinen Sinn, hier rumzulungern. Am besten fährt er wieder zu ihrem Haus.
Er sitzt im Wagen, der ordentlich geparkt gegenüber von Winters Haus am Straßenrand steht. Es ist eine schöne, ruhige Straße. Erstaunlich, dass Winter mit den kleinen Geschäften, die er macht, genug verdient, um sich ein so schönes Haus in einem so schönen Viertel leisten zu können. Vielleicht kann er das auch gar nicht. Viele Leute im Geschäft haben die Angewohnheit, über ihre Verhältnisse zu leben. Calum gehört nicht dazu, ganz im Gegenteil. Er würde gern einen Blick ins Haus werfen. Nicht um Winters Ausgaben beurteilen zu können, sondern um sich den Grundriss anzusehen. Wenn man das Haus betritt, ist es gut, sich auszukennen. Er würde nicht mal versuchen einzubrechen. Das hat er bisher zwei-, dreimal getan, aber nur, wenn es unerlässlich war. Er zählt es nicht zu seinen Stärken. Man darf nicht mehr Spuren hinterlassen als nötig. Man sollte kein Risiko eingehen, das sich
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