Der unvermeidliche Tod des Lewis Winter
bitten lassen. Stewart? Nein, es muss jemand aus dem Geschäft sein. Er hat die Drogen und das Geld mitgenommen, aber das war’s auch schon. Er musste aus dem Haus verschwinden, um sich zu schützen. Egoistisch. Sie hat nackt vor ihm gestanden. Leicht zu beeinflussen. Nur im schlimmsten Fall zu gebrauchen. Bei ihm wäre das Ganze ein Kinderspiel. Nicht besonders scharfsinnig. Ein unbeschriebenes Blatt. Vielleicht. Aber nur vielleicht.
Jemand im Geschäft. Jemand, der wüsste, wie man da vorgeht. Ihr fallen zwei Leute ein. Zwei Leute, die mit Sicherheit helfen würden. Beide lassen sie erschaudern, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Der eine ist Marty Jones. Ein Zuhälter. Ein Kredithai. Ein Mistkerl übelster Sorte. Ist früher ein paarmal um sie herumscharwenzelt. Das Geld und die Drogen wären für ihn kein Problem. Er hat die richtigen Kontakte. Arbeitet viel für Peter Jamieson. Doch bei dem Gedanken, mit ihm zusammenzuarbeiten, wird ihr schlecht. Sie weiß, was er dafür verlangen würde. Vielleicht sogar was noch Schlimmeres. Noch schlimmer als nur mit ihm zu schlafen. Er schickt viele Frauen in die Welt der Prostitution. Ausgefallene Partys für reiche Arschlöcher. Tolle Frauen. Frauen, die nie die Absicht hatten, in so eine dunkle Welt zu stürzen. Nein, der Preis wäre viel zu hoch.
Die andere Möglichkeit ist auch nicht viel reizvoller. Nate. Nate Colgan. Der Vater ihres Kindes. Der Mann, mit dem sie einige Jahre ihres Lebens verbracht hat. Ein Mann, den sie bis zu einem gewissen Punkt liebte. Vor dem sie extreme Angst hatte. Er hat sie nie geschlagen. Kein einziges Mal. Stattdessen hat er alle anderen geschlagen. Ein eiskalter Kerl von beängstigender Brutalität. Während der Zeit, in der sie zusammen waren, empfand sie ihn meistens als gefühlskalt. Nur manchmal ein leises Anzeichen, dass er ein menschliches Herz hatte. Ein Pragmatiker. Der seine Aufgaben erledigt. Deshalb heuern ihn so viele Leute an. Aber auch die haben Angst vor ihm. Deshalb bleibt er nie lange. Deshalb war keine seiner Beziehungen von Bestand. Er hat Angst vor sich selbst. Das hat er nie gesagt, so offen wäre er nie, doch sie hat es ihm angesehen. Er hat Angst vor dem, was er tun könnte, vor dem, was er einem geliebten Menschen antun könnte. Es kann nur auf Nate hinauslaufen. Sie weiß, dass er ihr helfen wird. Er wird keine Gegenleistung verlangen. Sie hat ihm eine Tochter geschenkt, die er liebt und jedes Wochenende besucht. Das dürfte ihr die Hilfe einbringen, die sie braucht. Bis jetzt hat sie ihn noch nie um irgendwas gebeten.
Den Schuhkarton holen. Raus aus der Wohnung. Zur Bushaltestelle an der Ecke. Den Bus zum Eastend nehmen. Seltsam, wie die Menschen auseinanderdriften. Lange hatte sie sich vor der Trennung von Nate gefürchtet. Vor seiner Reaktion. Aber auch er hatte gewusst, dass es Zeit dafür war. Hatte sich damit abgefunden. Sie hatte gedacht, er würde versuchen, mit ihr in Kontakt zu bleiben, sie zurückzugewinnen. Aber nein, auch das war nicht eingetreten. Er hatte sie gehen lassen. Fast als würde sie ihn nicht mehr sonderlich interessieren.
Und jetzt bittet sie ihn um Hilfe. Als sie in einer hässlichen Gegend der Stadt den Weg zu seinem Reihenhaus langgeht, fragt sie sich, ob er dazu bereit sein wird, ihr zu helfen. Bestimmt. Zwischen ihnen besteht eine Verbindung. Sie schaut auf die Uhr. Schon fast zehn Uhr abends. Es ist dunkel. In der Ferne hört sie vertrautes Kindergeschrei. Vielleicht ist er gar nicht zu Hause. Sie kann nirgends eine Klingel entdecken, also klopft sie. Wartet. Ist nervös. Wünschte, sie hätte sich bei ihrem Äußeren mehr Mühe gegeben. Würde das eine Rolle spielen? Es gibt ja nichts an ihr, das er nicht schon mal gesehen hätte. Was, wenn er eine Freundin hat? Sie hat keine Ahnung. Er könnte eine Frau bei sich haben. Sie klopft noch mal. Das Ganze kommt ihr wie eine schlechte Idee vor. Die Idee, Stewart dazu zu bringen, ihr zu helfen, gefällt ihr auf einmal besser. Ein harmloser Typ. Ein anständiger Mensch. Er mag sie. Er hat die Sache genossen. Sie könnte ihn überreden. Das Licht geht an. Die Tür öffnet sich.
Nate steht da und erwidert ihren Blick. Dieses strenge Gesicht. Schön, aber nie einladend. Auch als er sieht, dass sie es ist, bleibt seine Miene unverändert. Freut er sich, sie zu sehen? Wer könnte das an seinem Blick erraten? Er betrachtet sie bloß. So, als würde er sie beurteilen.
»Hi, Nate, ich bin’s, Zara«, sagt sie mit einem Kichern. Weil sie
Weitere Kostenlose Bücher