Der unvermeidliche Tod des Lewis Winter
nervös ist, nicht um zu flirten. Für Flirts ist er nicht empfänglich, das weiß sie.
Er nickt. »Komm besser rein«, sagt er und tritt zur Seite. Seltsam, er sieht genauso aus wie immer, klingt aber älter. Er dürfte jetzt fünfunddreißig sein. Mit seinem abweisenden, düsteren Stirnrunzeln sah er immer aus wie Anfang vierzig. Ein Mann von Welt. Der wissenswerte Dinge weiß. Seine Stimme klingt inzwischen ein bisschen schroffer. Angespannter.
Sie geht ins Haus. Ins Wohnzimmer. Bleibt stehen. Spielsachen auf dem Fußboden. Ein Puppenhaus mit kleinen Tieren drin. Ein kleiner Stall mit Plastikpferden. Sie dreht sich zu Nate um, der ihr ins Zimmer folgt.
»Ich hab sie grade ins Bett gebracht«, sagt er teilnahmslos. Ihm macht das alles keine Probleme, doch Zara macht es Angst. Würde ihre Tochter sie überhaupt erkennen? Sie hat keine Lust, es rauszufinden. »Sie ist übers Wochenende da. Deine Eltern machen Urlaub. Lake District. Kommen am Montag zurück.«
»Das wusste ich nicht«, sagt Zara schnell, damit er begreift, dass sie nicht gekommen ist, um das Kind zu sehen.
»Hab ich auch nicht erwartet«, sagt er, und sie hört die vertraute Schärfe seines Tons heraus.
Er ist sehr intelligent. Liest in seiner Freizeit Bücher. Sie hat ihn immer für einen Intellektuellen gehalten. Kann sich für jemanden mit seiner Herkunft auch sehr gut ausdrücken. All das trägt dazu bei, dass er so einschüchternd wirkt. Mit einem Nicken deutet er auf einen Stuhl, die Anweisung, sich zu setzen. Auch er setzt sich hin.
»Ich hab das mit Winter gehört«, sagt er. Er redet leise, damit seine kleine Tochter nicht ohne triftigen Grund geweckt wird.
»Hier spricht sich so was schnell rum«, erwidert sie seufzend.
»Stimmt.« Sonst sagt er nichts. Er lässt den ganzen Druck auf ihr lasten. Er kann sich vorstellen, warum sie gekommen ist, sieht aber nicht ein, warum er es ihr leichtmachen soll. Sie soll alles erklären. Soll die Schwerarbeit selbst übernehmen.
Normalerweise ist sie ziemlich selbstsicher. Und wenn nicht, dann kann sie’s gut vortäuschen. Sie sieht Nate an und fragt sich, warum ihr das jetzt nicht gelingt. Sie konnte es doch, selbst bei ihm. Was hat sich denn geändert? Es liegt daran, dass sie ihm gleichgültig ist. Als ihnen noch was aneinander lag, konnte sie ihn kontrollieren. Jetzt nicht mehr. Die Zeit hat ihn ihrem Einfluss entzogen.
»Ich stecke so ein bisschen in der Klemme«, sagt sie. »Ich weiß nicht, was aus dem Haus und dem Geld wird, das Lewis hatte. Das krieg ich so schnell nicht, wenn überhaupt. Ich hab da was.« Sie tätschelt die große Handtasche auf ihren Knien. »Ein bisschen Geld. Ein bisschen … Ware. Aber dabei brauche ich Hilfe. Von jemandem, dem ich trauen kann. Sonst hab ich nichts zum Leben.«
Er sitzt da und hört ihr zu, zeigt aber keine Reaktion. Sein Gesichtsausdruck ist unverändert. Nichts. Als wollte er sie leiden lassen. Weiß er überhaupt noch, wie man sich korrekt gegenüber einem Menschen verhält? Er hat so viel Zeit damit verbracht, andere einzuschüchtern.
»Du willst, dass ich ein Konto einrichte, die Drogen verkaufe, das Geld auf das Konto einzahle.« Das ist keine Frage, sondern eine Feststellung.
»Ja. Ich brauche dabei deine Hilfe.«
»Kann dir niemand anders helfen?«
»Nein«, wispert sie. Sie weiß, dass er nicht danach fragt, um sie zu demütigen. Er fragt, weil es ihm lieber wäre, sie würde sich an jemand anderen wenden.
Zara sitzt da und wartet darauf, dass er was sagt. Sie denkt, dass Nate sie am liebsten woanders hinschicken würde, weil ihm nichts an ihr liegt. Doch da täuscht sie sich gewaltig. Gerade weil ihm was an ihr liegt, würde er sie am liebsten wegschicken. Er liebt sie immer noch. Vermutlich wird er sie immer lieben. Dabei ist sie eine wandelnde Hiobsbotschaft. Nicht für ihn, er wird mit ihr und noch viel schlimmeren Dämonen fertig. Aber sie ist schlecht für Rebecca, ihre gemeinsame Tochter. In erster Linie ist er für das Kind verantwortlich. Falls Zara in sein Leben zurückkehrt, dann kehrt sie auch in Beccas Leben zurück. Das will er nicht. Für seine kleine Tochter will er was Besseres. Er kann Zara aber auch nicht einfach in der Luft hängen lassen. Im Geschäft gibt’s zu viele Leute, die sie ausnutzen könnten, wenn er ihr nicht hilft.
»Was hast du dabei?«, fragt er und beugt sich vor, um es sich anzusehen.
Zara holt den Schuhkarton aus ihrer Tasche und öffnet ihn. Zwei Bündel Geldscheine, zwei Plastiktüten.
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