Der unvermeidliche Tod des Lewis Winter
»Nein.«
40
Es ist dunkel. Der Raum scheint sich zu drehen. In allem steckt Angst. Und das Ende des Nervenkitzels unterstreicht das Ganze. Alles war ihm so verrückt vorgekommen. Nicht von dieser Welt. Jetzt ist es in die Realität eingedrungen, und sein Magen krampft sich zusammen. Er hört ihn gluckern. Ihm ist nicht sofort klar gewesen, was ihn erwartet – erst nach der Fahrt zum Revier und der erkennungsdienstlichen Behandlung. Er wirft gerade sein Leben weg. Schockiert alle, die ihn kennen. Die Realität lässt sich nicht länger leugnen, und sie ist kein Spaß. Der kleine Teil von Stewart, der das Ganze genossen hat, ist verstummt und hat sich in eine dunkle Ecke verzogen. Seit er im Verhörraum sitzt und auf den Anwalt wartet, hat ihn Fisher wie einen Killer behandelt. Das macht ihm Angst. Er will nicht ins Gefängnis. Er will die Folgen des Nervenkitzels nicht tragen. Zu leben wie ein Gangster macht Spaß. Wie einer behandelt zu werden allerdings nicht.
Die Tür geht auf. Der Anwalt kommt rein. Bärtig, Mitte vierzig. Sieht jetzt schon wütend aus. Fisher, der Stewart am Schreibtisch gegenübersitzt, dreht sich um und betrachtet ihn. Der Anwalt sieht nicht, wie Fisher die Augen verdreht. Er ist von dem Neuankömmling nicht sonderlich beeindruckt. Der Bärtige setzt sich neben Stewart.
»Ich würde gern ein paar Minuten mit meinem Klienten allein sein«, sagt er zu Fisher. Die beiden haben eine Vorgeschichte. Aber keine erfreuliche. Fisher steht seufzend vom Schreibtisch auf. »Ich kann nur hoffen, dass Sie nicht schon gegen das Gesetz verstoßen haben. Ich weiß, wie einsatzfreudig Sie sein können.«
Von der Tür aus sagt Fisher spöttisch: »Keine Sorge, ich habe Ihr kostbares Lämmchen mit dem größten Respekt behandelt.«
Jetzt sind nur noch Stewart und der Anwalt im Raum. »Erst mal möchte ich mich vorstellen: Ich heiße Norman Barnes. Zweitens muss ich Ihnen sagen, dass Sie ziemlich in der Klemme zu sitzen scheinen. Sie stehen im Verdacht, an dem Mord an Lewis Winter beteiligt zu sein. Also, Sie müssen zu mir absolut ehrlich sein. Wenn wir Sie hier rauskriegen wollen, müssen wir wissen, wie wir diese Vorwürfe entkräften können.«
Stewart nickt. An einem Mord beteiligt. Das könnte lebenslänglich bedeuten. Der Nervenkitzel ist weg, hat nicht lange vorgehalten. Zeit, ehrlich zu sein. Den Schaden auf ein Minimum zu begrenzen.
»Ich war an dem Mord nicht beteiligt. Nicht richtig. Aber ich war da.«
Während er mit dem Anwalt spricht, denkt er an Zara. Wo mag sie jetzt sein? Glaubt sie, dass sie in Sicherheit ist? Wenn er mit der Polizei redet, lässt er sie im Stich. Er verrät sie. Er weiß, wie so was im Fernsehen oder im Kino abläuft. Der Mann lässt sich eine raffinierte Geschichte einfallen, mit der er das schöne Mädchen vor der Polizei schützt. An ihrer Stelle kommt am Ende er ins Gefängnis. Gefängnis. Nein. Sie ist wunderschön und aufregend, aber sie ist es nicht wert, dass er ihretwegen eingesperrt wird. Das ist niemand wert. Sie versteht bestimmt, dass eine Beziehung, die noch so frisch ist wie ihre, keine Haftstrafe rechtfertigt. Er könnte trotzdem hinter Gitter kommen. Doch er muss ehrlich sein.
Es dauert ein paar Minuten, aber dann erzählt er Barnes alles. Während Stewart redet, macht sich der Anwalt in Steno jede Menge Notizen. Eine Hand am Mund, die andere mit Schreiben beschäftigt, sitzt er da und schaut die ganze Zeit aufs Papier. Stewart kommt ans Ende seiner Geschichte.
»Okay, Stewart, haben Sie irgendwelche Vorstrafen?«
»Nein, keine. Ich war noch nie in so eine Sache verwickelt. Das war totaler Zufall.«
»Gut. Wissen Sie, wenn der Richter das hört, dann macht er sich über Sie Gedanken. Er überlegt, ob er Sie bestrafen oder auf den Pfad der Tugend zurückführen soll. Wenn Sie vorbestraft sind, glaubt er, dass etwas Schlimmeres dahintersteckt. Wenn nicht, glaubt er vielleicht, dass Sie naiv waren. Und dann verzichtet er wahrscheinlich darauf, Sie wegen dieser Sache ins Gefängnis zu bringen und Ihr Leben zu zerstören.«
Ins Gefängnis bringen. Sein Leben zerstören. So weit könnte es kommen. All das liegt in den Händen anderer.
»Ich halte es für das Beste«, sagt Barnes, »wenn Sie DI Fisher alles sagen, was Sie mir gerade gesagt haben. Erzählen Sie ihm die ganze Wahrheit. Was Sie getan haben, war kriminell. Sie sind vom Tatort eines Mordes geflüchtet. Sie haben gefährliche Drogen und vermutlich Drogengeld beiseitegeschafft, obwohl man
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