Der Unwillige Braeutigam
lange nachzudenken tat.
Da seine Aufmerksamkeit auf den Weg vor sich gerichtet war, sah sie nur sein Profil. Wenn sie eine Malerin wäre, würde sie ihn unbedingt malen wollen, denn sein Gesicht war dazu wie geschaffen. Seine Nase war perfekt geformt für seine ausdrucksstarken Züge, nicht zu groß und nicht zu klein. Und wenn sie es wagte, zu lange seinen Mund zu betrachten, tat es ihr fast weh. Da war ein Ziehen in ihrem Inneren, das sie dazu drängte, etwas zu unternehmen, dass es aufhörte – oder ihm nachzugeben und es zu befriedigen.
Sie starrte ihn reichlich keck an. An seinem Gesicht gab es nichts, was ihr missfiel. Nichts.
Sich des Umstandes bewusst, dass er gemustert wurde, warf er ihr von der Seite einen Blick zu, hob eine Braue. Als könnte er ihre Gedanken lesen und wäre von ihnen amüsiert.
„Und, gefällt Ihnen, was Sie sehen?“
Das war eine Frage, die nur der arroganteste Mann einer Frau stellen würde.
Elizabeth weigerte sich zu erröten, kühlte ihre Wangen mit reiner Willenskraft. „Wenn ich sagte, dass dem so ist, hielten Sie mich dann für zu dreist?“
Der Weg stieg leicht an, führte auf eine kleine Anhöhe. Er sprach erst wieder, als sie oben angekommen waren. Die Sonne schien strahlend hell auf die Blätter, tanzte über seinen Kopf, sodass sein Haar schimmerte wie frisch polierte schwarze Lederstiefel.
„Sind Sie mit allen Männern, die Sie treffen, so offen, Miss Smith, oder bin ich eine Ausnahme? Sollten wir heiraten, würde mir die Vorstellung nicht sonderlich behagen, dass meine Frau sich durch ein hübsches Gesicht und ein paar geflüsterte Worte so leicht den Kopf verdrehen ließe, dass jeder sie haben könnte.“
Elizabeth blieb so jäh stehen, als sei eine Wand vor ihr aus dem Boden geschossen. Ihre Mundwinkel bogen sich nach unten, und sie stieß gekränkt die Luft aus. Obwohl er das eher als Frage formuliert hatte, war nicht zu übersehen, dass es eine Warnung gewesen war. Sie ließ sich Zeit, um ihre Antwort im Geiste zu formulieren, ehe sie sie laut aussprach.
„Das gilt auch umgekehrt, Mylord: Ich hoffe ebenfalls, dass Sie sich nicht so leicht verleiten lassen. Ich für meinen Fall weiß, ich habe erst einen Mann geküsst … jemals. Und ich habe genug gut aussehende Herren getroffen. Und Sie? Können Sie von sich dasselbe sagen? Sollten wir heiraten – und wie es klingt, hegen Sie Zweifel daran, dass es soweit kommt –, muss ich mir dann Sorgen machen, dass Sie sich im Garten Freiheiten herausnehmen, mit jeder Frau, die Ihnen zusagt?“
Elizabeth war ehrlich empört, und ihre Brust hob und senkte sich heftig.
In einiger Entfernung zerriss der freudige Schrei eines Kindes die Luft. Der Viscount wartete, bis wieder Stille herrschte, dann antwortete er: „ Touché . Und wenn es Sie beruhigt, ich küsse gewöhnlich keine Frauen, die ich nicht kenne. Und ich habe das noch nie zuvor auf einem Ball getan – wenigstens nicht, seit ich kein grüner Junge mehr bin. Sie werden es mir vielleicht nicht glauben, aber ich bin gewöhnlich eher übervorsichtig, was meine persönlichen Angelegenheiten angeht.“
Und schon verflog ihr Ärger. „Aber mich haben Sie geküsst.“ Der Viscount war ein ebenso großes Risiko wie sie eingegangen. Das musste doch etwas heißen, oder nicht?
„Ja, ich habe Sie geküsst.“ Seine Augen waren halb geschlossen, während sie auf die Stelle gerichtet waren, die er geküsst hatte: ihren Mund.
Aber nein, das konnte sie nicht erlauben. Das hier war ihre Verführung, nicht seine. Und nach seinem Gesichtsausdruck zu schließen, bestände seine aus Fleischeslust, sengenden Küssen und hemmungsloser Leidenschaft. Die Natur dieser Gefühle würde alles in Flammen setzen und von dem ablenken, worum es gehen sollte: einander besser kennenzulernen.
„Also, sagen Sie mir, Mylord, wofür interessieren Sie sich? Sind Sie passionierter Jäger?“ Himmel, sie hoffte doch nicht. Sie verabscheute es, wenn hilflose Tiere aus sportlichem Ehrgeiz heraus erschossen wurden.
Er hob seinen Blick von ihrem Mund, und seine Lippen verzogen sich kaum merklich, als er ihr in die Augen schaute. Ich werde das Thema Küsse fallen lassen, aber nur für den Moment, schien sein Lächeln sagen zu wollen.
„Nein, ich bin kein Jäger. Mein Vater hat fast einen Anfall bekommen, als er es gemerkt hat. Ich denke nicht, dass er es mir je verziehen hat“, antwortete er mit einem leisen Schmunzeln.
Sein Vater war vor drei Jahren gestorben. Die Nachricht war auch bis
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