Der Unwillige Braeutigam
Stieres ankamen. Derek beeindruckte sie mit seinem überlegenen Wissen, sprach mit großem Kenntnisreichtum über ägyptische Hieroglyphen und verschiedene andere Themengebiete.
Sie entdeckte auch, dass er Bücher und Lesen so liebte wie sie. An diesem Punkt ließ etwas von ihrer Angst nach, denn Lord Creswell benahm sich wie der perfekte Gentleman. Er war fürsorglich und respektvoll, berührte sie nie vertraulich, zog sie nicht ein einziges Mal mit Blicken aus.
Als sie am späten Nachmittag in die Kutsche stiegen, hatte Elizabeth sich eingeredet, dass sie ihm trauen konnte, seine Hände – und alle anderen Körperteile – bei sich zu behalten.
Die schwindenden Sonnenstrahlen kündigten den Einbruch der Dämmerung an, tauchten die Kutsche in Dunkelheit. Lord Creswell saß ihr gegenüber, seine Gestalt in schwarze und graue Schatten gehüllt. Außer, um sich zu erkundigen, wie ihr der Ausflug gefallen habe, blieb er stumm. Was nicht so schlimm gewesen wäre, wenn sie nicht genau gewusst hätte, dass er sie beobachtete. Sie konnte es spüren. Und dieselbe Spannung, von der sie fürchtete, sie würde ihre Bemühungen um Wahrung des Anstandes zunichtemachen, kehrte wieder zurück, simmerte stärker als zuvor zwischen ihnen.
Ein paar Minuten später blieb die Barutsche vor einem Stadthaus stehen; ein Gebäude aus roten Ziegelsteinen, drei Stockwerke hoch.
„Warum haben wir hier angehalten?“, fragte sie. Wer wohnt hier?
„Es handelt sich um ein Haus, das ich kürzlich erworben habe. Ich dachte, Sie würden es sich gerne ansehen und mir vielleicht Ihre Meinung dazu mitteilen. Schließlich werden Sie hier wohnen“, lautete seine aalglatte Erwiderung.
Elizabeth spähte aus dem Fenster und dann wieder zu seinem Gesicht in den Schatten. Wenn sie ihn nicht sehen konnte, konnte sie auch nicht in ihm lesen, und daher wusste sie nicht, ob sie ihm trauen konnte. Die wesentlich heiklere Frage war jedoch, ob sie sich selbst traute.
„Ich würde es vorziehen, wenn wir ein andermal herkommen könnten.“
Feigling.
Nein, einfach mit einem gut entwickelten Selbsterhaltungstrieb versehen.
„Ehrlich, Miss Smith, erfüllt Sie die Vorstellung, mit mir alleine zu sein, mit solcher Angst? Auf jeden Fall muss sich der Pferdebursche um die Tiere kümmern. Kommen Sie schon“, überredete er sie. „Ich verspreche auch, ich werde nicht beißen.“ Sein Tonfall beruhigte sie kein bisschen. Er klang sinnlich-unheimlich, wenn man die beiden Wörter auf diese Weise miteinander kombinieren konnte.
Elizabeth fasste sich, drückte die Schultern nach hinten durch und schluckte schwer. Niemand konnte überhören, dass es sich bei seinen Worten um eine Herausforderung handelte. Sie konnte das hier tun. Sie war nicht so schwach, hatte nicht so wenig Selbstbeherrschung.
Aber andererseits konnte man der Versuchung auch nur bis zu einem gewissen Grad widerstehen, und Lord Derek Creswell war unleugbar die fleischgewordene Versuchung.
„Zehn Minuten.“ Das sollte genug Zeit sein, um sich rasch das Haus anzusehen, aber sicher nicht genug, als dass etwas wirklich Ungehöriges geschehen konnte.
„Wie Sie wünschen.“
Sie konnte das Lächeln in seiner Stimme hören, und erneut regte sich ein ungutes Gefühl in ihr.
Das Erste, was Elizabeth auffiel, als sie das Haus betrat, war, dass ihnen nicht von einem Diener geöffnet wurde. Auch im Haus begegnete ihnen niemand, kein Butler, kein Lakai und auch keine Haushälterin. Die Stille hallte förmlich durch die leeren Räume.
„Wo sind denn die Dienstboten?“
„Ich habe mich noch nicht um Dienerschaft für das Haus gekümmert. Ich wollte erst Ihre Meinung hören, da der Kauf noch nicht endgültig ist.“
Hatte er ihr eben nicht gesagt, er habe das Haus bereits gekauft? Die Warnglocken in ihrem Kopf schrillten lauter. Verstandesmäßig wusste sie, ihr würde nichts geschehen, was sie nicht selbst wollte. Unseligerweise war ihr Problem, dass sie es wollte. Sie wollte es so verzweifelt, dass ihr Verlangen für den Viscount sie in der Nacht nicht schlafen ließ, bis sie sich selbst Erleichterung verschaffte – wobei allein der Gedanke daran ausreichte, dass ihr ganz heiß im Gesicht wurde. Mr. Richard Smiths jungfräuliche Tochter bereitete sich selbst Lust. Die Vorstellung war absurd.
„Vielleicht sollten wir bei Tageslicht zurückkehren, damit ich es richtig sehen kann.“
„Kommen Sie, lassen Sie uns einen Blick auf die Räume oben werfen“, schlug er vor, als hätte sie nichts
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