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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Anspielung ein, sondern atmete tief durch und ging zum Angriff über.
    »Herr Ermittlungsrichter, hier in Bordeaux treten wir im Augenblick auf der Stelle. Wir haben sämtliche Aufzeichnungen der Überwachungskameras überprüft. Wir haben mit allen möglichen Bekannten des Opfers gesprochen. Wir haben nach seinem Hund gesucht. Wir sind der Spur des Futters gefolgt, das Philippe Duruy für sein Tier besorgt hat, haben die Herkunft seiner Kleidung gefunden und das Netzwerk untersucht, über das er seine Drogen bezog. Wir haben den Bahnhof, die Unterkünfte der Obdachlosen und jeden toten Winkel der Stadt durchkämmt. Wir haben im Umkreis von fünfhundert Kilometern ringst um Bordeaux die Vorräte von Ketavet überprüft – dem Anästhetikum für Tiere, das der Mörder benutzt hat –, aber nichts davon hat uns weitergeführt. Wir hatten einen indirekten Zeugen, Patrick Bonfils, der vermutlich am Tatort war, aber er und seine Frau wurden ermordet. Das ist der derzeitige Stand der Dinge. Es gibt weder Zeugen noch Indizien und nicht die geringste Spur. Das Einzige, was wir besitzen, sind die Fingerabdrücke von Mathias Freire alias Victor Janusz, die wir am Leichenfundort sichergestellt haben. Mein Team kann die Ermittlungen hier in Bordeaux fortsetzen, aber ich muss versuchen, an Freire heranzukommen, und Freire hält sich in Marseille auf.«
    Der Richter verschränkte die Arme und blickte Anaïs schweigend an. Seine Miene war undurchdringlich. Anaïs hätte gern etwas getrunken, traute sich aber nicht, um ein Glas Wasser zu bitten.
    Erst jetzt fiel ihr die Ausstattung des Büros auf. Le Gall hatte sein Zimmer grundlegend verändert. Die übliche moderne Einrichtung, die Metallschreibtische und der Acrylteppich waren verschwunden und durch Mobiliar aus einer anderen Zeit ersetzt worden: Regale aus lackiertem Holz, mit Filz bespannte Stühle und Wollteppiche. Es sah aus wie bei einem Notar zu Beginn des vorigen Jahrhunderts.
    Trotz ihrer verstopften Nase roch Anaïs, dass irgendwo Räucherstäbchen abgebrannt wurden. Es war, als hätte sie einen flüchtigen Blick auf eine verborgene Seite des Ermittlungsrichters werfen dürfen. War er Buddhist? Oder begeisterte er sich vielleicht für Wanderungen durch den Himalaya?
    Der Beamte hatte noch immer nicht geantwortet. Anaïs spürte, dass sie einen Gang hochschalten musste. Immer noch im Sitzen stützte sie die Ellbogen auf den Schreibtisch und wechselte den Tonfall.
    »Herr Ermittlungsrichter, lassen Sie uns Klartext reden. Wir beide, Sie und ich, riskieren viel in diesem Fall. Wir sind jung. Alle Augen sind auf uns gerichtet. Vertrauen Sie mir. Einerseits haben wir diesen Ritualmord, den vermutlich ein Verrückter hier in Bordeaux begangen hat. Dem steht ein Doppelmord im Baskenland gegenüber. Die einzige Verbindung zwischen diesen Verbrechen ist Mathias Freire alias Victor Janusz. Es ist meine Pflicht, diesen Mann zu suchen. Bitte gewähren Sie mir zwei Tage in Marseille.«
    Die Lippen des Beamten verzogen sich zu einem unangenehmen Lächeln. Er schien sich über Anaïs’ Eifer und ihre jugendliche Unverblümtheit zu amüsieren. Jeder nach seiner Fasson!
    »Und was genau haben Sie vor? Was wollen Sie außer Freire noch in Marseille finden?«
    Anaïs richtete sich auf. Zum ersten Mal entdeckte sie hinter den dicken Brillengläsern die Intelligenz, die es Le Gall ermöglicht hatte, alle Examen zu bestehen und heute an diesem Schreibtisch zu sitzen.
    »Ich glaube, dass der Mann auch schon in Marseille auf der Flucht war und außerdem irgendeine Spur verfolgte.«
    »Und was soll das gewesen sein?«
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht ein weiterer Mord.«
    »Das verstehe ich nicht. Mordet er, oder ermittelt er?«
    »Beides ist möglich.«
    »Haben Sie etwas von einem weiteren Mord gehört? Denken Sie an einen Serientäter?«
    Anaïs schüttelte den Kopf. Sie mochte dieses Wort nicht. Außerdem war es viel zu früh für so weitreichende Schlüsse.
    »Haben Sie die zentrale Meldestelle für Verbrechen konsultiert?«
    »Aber natürlich. Leider ohne Resultat. Allerdings hängt in solchen Fällen vieles von den Erfassungskriterien ab.«
    »Schon gut, das weiß ich auch. Aber woher nehmen Sie Ihre Überzeugung?«
    Natürlich hätte sie um den heißen Brei herumreden können, doch sie entschied sich für die ungeschminkte Wahrheit.
    »Ich höre auf meinen Instinkt.«
    Der Richter betrachtete sie nachdenklich. Plötzlich sah er nicht mehr aus wie ein kleiner Notar, sondern wie ein

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