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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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nicht mehr ganz frisch.«
    Janusz musste an Tzevan Sokow denken. Der Junge war Mitte Dezember ermordet worden.
    »Wussten Sie, wohin ich ging, wenn ich verschwand?«
    »Nein.«
    »Was habe ich gesagt, als ich die Unterkunft verließ?«
    »Nichts. Ende Dezember gab es diese Schlägerei. Wir haben dich noch auf der Polizeiwache abgeholt, aber zwei Tage später bist du endgültig gegangen.«
    »Habe ich über diese Schlägerei gesprochen?«
    »Nein, du hast weder der Polizei noch uns etwas gesagt. Du hast geschwiegen wie ein Grab.«
    Le Guen hatte keine Ahnung, wie wahr er sprach. Plötzlich meldete sich Janusz’ Migräne wieder. Der schmerzende Punkt hinter dem linken Auge pochte ebenfalls. Draußen tobte der Wind und heulte um die Telefonzelle.
    »Was waren das für kleine Jobs, die Sie mir gegeben haben?«
    »So genau weiß ich das nicht mehr. Jedenfalls hast du dich zum Schluss um unseren Kleiderbasar gekümmert, aber auch manchmal in der Schneiderei gearbeitet, wo wir die Sachen in Ordnung bringen. Mit CDs und Büchern wolltest du jedenfalls nie etwas zu tun haben – mit nichts, das auch nur entfernt an Kunst erinnert.«
    »Warum?«
    »Wir hatten den Eindruck, dass du in dieser Richtung irgendwie traumatisiert warst.«
    »Traumatisiert?«
    »Ich persönlich glaube, dass du Künstler warst, ehe du obdachlos wurdest.«
    Janusz schloss die Augen. Mit jedem Wort verstärkte sich der Schmerz. Instinktiv spürte er, dass er die Persönlichkeit streifte, die er vor Janusz gewesen war, und dass ihm das aus unerfindlichen Gründen wehtat.
    »Was für eine Art von Künstler?«, stammelte er.
    »Ich tippe auf Maler.«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Wegen deiner Abneigung. Du hast dich von allem ferngehalten, das auch nur ansatzweise an ein Bild oder einen Bildband erinnerte. Trotzdem habe ich bemerkt, dass du dich auskanntest. Ein paarmal hast du Spezialausdrücke benutzt, die man eigentlich nur kennt, wenn man sich damit beschäftigt.«
    Die Erkenntnis breitete sich in Janusz aus wie ein Ölfilm. Er erinnerte sich zwar nicht, verspürte aber ein Entsetzen, das ihn zu überwältigen drohte.
    »Eines Tages zum Beispiel«, fuhr Le Guen fort, »blätterte einer unserer Kollegen in einem Kunstband. Du hast danebengestanden und wurdest ganz blass. Plötzlich legtest du heftig deine Hand auf eines der dargestellten Bilder und sagtest: ›Das will ich nicht mehr.‹ Ich erinnere mich noch sehr gut daran.«
    »Wissen Sie noch, was es für ein Bild war?«
    »Ein Selbstporträt von Courbet.«
    »Wenn Sie mich für einen Künstler hielten, haben Sie nicht versucht herauszufinden, ob es irgendwo mit ›Janusz‹ signierte Bilder gab?«
    »Nein. Erstens hätte ich dazu nicht die Zeit gehabt, und zweitens war mir klar, dass die Bilder, falls es überhaupt welche gab, einen anderen Namen tragen würden.«
    Der Wind rüttelte an den Scheiben der Telefonzelle.
    Plötzlich begriff Janusz, dass Le Guen Bescheid wusste.
    »Ehe du zu Janusz wurdest, warst du jemand anders«, sagte der Mann von der Emmaus-Gemeinde. »Und nach Janusz wurdest du zu Mathias Freire.«
    »Woher kennen Sie diesen Namen?«
    »Du hast ihn mir im Zug genannt.«
    »Und daran erinnern Sie sich?«
    »Ich konnte ihn gar nicht vergessen. Ich komme gerade aus Bordeaux zurück. Du bist zurzeit der Star in sämtlichen Regionalprogrammen.«
    »Haben Sie vor, mich zu verraten?«
    »Ich weiß doch nicht einmal, wo du dich aufhältst.«
    »Sie haben mich gekannt«, stöhnte Janusz. »Glauben Sie, dass ich es gewesen bin? Glauben Sie, ich wäre in der Lage, einen Menschen zu töten?«
    Le Guen antwortete nicht sofort. Er schien ebenso ruhig, wie Janusz nervös war.
    »Darauf kann ich dir keine Antwort geben, Victor. Wen sollte ich auch verdächtigen? Den Maler, der du zweifellos vor deiner Ankunft in Marseille gewesen bist? Den verschlossenen Obdachlosen, den ich in Pointe-Rouge kennengelernt habe? Den Psychiater, der mir im Zug begegnet ist? Ich glaube, du solltest dich der Polizei stellen und eine Therapie machen. Vielleicht sind die Ärzte in der Lage, deine verschiedenen Persönlichkeiten zu ordnen und deine ursprüngliche Identität freizulegen. Denn sie allein ist es, die zählt. Aber dazu brauchst du Hilfe.«
    Janusz spürte, wie er wieder wütend wurde. Sicher hatte Le Guen recht. Aber genau das wollte er nicht hören. Er dachte noch über eine entsprechende Antwort nach, als plötzlich jemand gegen die Scheibe wummerte. Shampoo stand vor der Telefonzelle.
    »Mach voran! Der

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