Der Ursprung des Bösen
die sich unter Decken und Planen verkrochen hatten.
Jeder für sich, aber der Wind gegen alle.
Schließlich erreichten sie eine weitere Baugrube. Ein gigantisches Abwasserrohr lag im matschigen Boden. Sie schlüpften ins Innere des Rohrs. Beinahe wären sie über das Dutzend anderer Männer gefallen, die sich bereits an die zylindrischen Betonwände schmiegten.
»Das ist gut gegen Krampfadern«, lachte Shampoo in Anspielung auf die Lage. Innerhalb des Rohrs lagen die Füße zwangsläufig etwas erhöht.
Sie krochen über Körper. Als Janusz sich an der Wand des Rohrs abstützte, glaubte er sich die Finger zu verbrennen – so frostig kalt war der Beton. Ein Geruch nach Urin und Fäulnis lag in unbeweglichen, fast kristallinen Schichten in der Luft. Janusz stieß an, stolperte und rempelte andere Menschen an. Flüche und Beschimpfungen ergossen sich über ihn. Hier war man weder Feind noch Leidensgenosse, hier waren alle nur zusammengepferchte Ratten.
Schließlich fanden sie einen freien Platz. Shampoo verstaute sein stinkendes Bündel in der tiefsten Höhlung des Zylinders. Janusz faltete seine Kartons auseinander und fragte sich, wann der Kahlkopf versuchen würde, ihn kaltzumachen. Er verkroch sich unter der Kartonage und versuchte sich vorzustellen, es wären Betttücher und Decken. Wie immer hielt er sein Jagdmesser griffbereit; es lag unter dem Karton, der ihm als Kopfkissen diente.
Wie schon am Abend zuvor schwor er sich, nur ganz leicht zu dösen. Aber kaum dass er sich hingelegt hatte, drohte ihn der Schlaf zu überwältigen. Dieses Mal jedoch leistete er Widerstand. Mit letzter Kraft konzentrierte er sich auf seine Ermittlungen. Fer-Blanc war unauffindbar. Was gab es außerdem noch?
Die Ermittlungen der Polizei von Marseille. Die hiesige Kripo hatte mehr konkrete Beweisstücke in der Hand als die Beamten in Bordeaux. Zum Beispiel das Gestell des Drachens, das Wachs und die Federn. Irgendwo musste der Mörder diese Dinge herhaben, und es waren Gegenstände, die man nicht einfach überall kaufen konnte. Dieser Crosnier und sein Team hatten sicher die Herkunft jedes einzelnen Stücks verfolgt – aber hatten sie auch etwas gefunden?
Janusz kam eine Idee, die selbstmörderisch wirkte. Er würde den Untersuchungsbericht in seinen Besitz bringen, wie auch immer. Gleich morgen wollte er es versuchen. Während er noch über einen vernünftigen Plan nachdachte, übermannte ihn der Schlaf. Als er die Augen wieder öffnete, hielt er sein geöffnetes Messer drohend in die Dunkelheit.
»Sag mal, spinnst du?«
Shampoo beugte sich über ihn. Janusz musste seine Nähe im Schlaf gespürt und als Bedrohung empfunden haben. Der Rest war reiner Reflex gewesen.
»Du hast wohl einen an der Klatsche«, schimpfte der Kahlkopf. »Merkst du nicht, dass die Röhre unter Wasser steht?«
Janusz stützte sich auf einen Ellbogen. Er lag zur Hälfte im Wasser. Die Kartons schwammen um ihn herum. Man hörte das Prasseln des Regens. Die Röhre hatte sich mit Schlamm gefüllt. Alle Männer waren auf den Beinen und suchten nach ihren Habseligkeiten.
»Los, beeil dich«, drängte der Kahlkopf und griff nach seinen Bündeln. »Wenn wir hierbleiben, erfrieren wir.«
Das Wasser stieg zusehends. Nur ein paar völlig Betrunkene lagen noch reglos herum. Niemand beachtete sie. In dumpfer, alkoholbenebelter Panik stießen und schoben sich die Männer nach draußen.
Janusz entdeckte zwei bewegungslose Körper, deren Gesichter schon im Schlamm versunken waren. Er ergriff den ersten am Kragen, richtete ihn auf und lehnte ihn an die runde Wand. Gerade wollte er das Gleiche mit dem zweiten Mann tun, als Shampoo ihn an der Schulter packte.
»Du hast wohl nicht alle Tassen im Schrank!«
»Wir können sie doch nicht einfach da liegen lassen.«
»Himmel, Arsch und Zwirn! Wir müssen hier raus!«
Nach und nach leerte sich die Röhre. Zerlumpte Decken dümpelten auf dem steigenden Wasser. Es sah aus wie nach einem Schiffbruch. Janusz tastete nach dem Puls der beiden Penner. Er war noch schwach spürbar, aber auch eine heftige Ohrfeige rief bei keinem der beiden eine Reaktion hervor.
Janusz versuchte es erneut.
Endlich regten sich die beiden Zombies.
»Mensch, nun mach schon! Oder willst du krepieren?«
Janusz zögerte nur kurz, dann folgte er Shampoo. Sie wateten zum Ende der Röhre. Die Scheiße reichte ihnen bis zum halben Oberschenkel. Janusz glitt aus, fiel hin, stand wieder auf. Sie waren nur noch wenige Meter von der Öffnung entfernt.
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