Der Ursprung des Bösen
veröffentlicht. Nur noch wenige Minuten, und er konnte sich nicht mehr frei in dieser Stadt bewegen. Jetzt musste es schnell gehen.
Auf der anderen Straßenseite entdeckte er ein preiswertes Bekleidungsgeschäft. Den Blick fest auf den Boden geheftet überquerte er die Straße. Wieder jaulte ein Alarmsignal auf. Erschrocken wich Janusz einen Schritt zurück. Eine Straßenbahn, deren Fahrer ihn hatte warnen wollen, fuhr unmittelbar vor ihm vorbei. Entgeistert und verwirrt blickte er ihr nach.
Mit einem möglichst nichtssagenden Ausdruck im Gesicht betrat er schließlich das Bekleidungsgeschäft. Der Verkäuferin, die freundlich auf ihn zukam, erklärte er, dass er in den Skiurlaub fahren wolle und einen Pullover, eine Daunenjacke und eine Mütze brauche. Sie freute sich, ihm helfen zu können.
»Ich vertraue mich ganz und gar Ihrem Geschmack an«, gelang es ihm, augenzwinkernd hinzuzufügen.
Er betrat eine Umkleidekabine. Kurz darauf brachte die Verkäuferin eine ganze Auswahl an Anoraks, Pullovern und Mützen.
»Ich denke, ich habe die richtige Größe gefunden.«
Janusz nahm ihr die Kleidungsstücke ab, zog den Vorhang zu und legte sein Jackett ab. Er suchte nach den neutralsten Farben und entschied sich für einen beigefarbenen Pullover, eine dunkelbraune Daunenjacke und eine schwarze Mütze. Im Spiegel der Kabine wirkte er wie ein Mann aus Lehm. Aber zumindest entsprach er nicht mehr der Beschreibung des Mannes, der aus dem Gerichtsgebäude geflohen war. Er überzeugte sich, dass niemand ihn durch den Vorhangspalt beobachtete, und verstaute sein Messer und die Waffe in den Anoraktaschen.
»Ich nehme diese drei Sachen«, sagte er zu der Verkäuferin, als er mit dem Aktenkoffer in der Hand aus der Kabine trat.
»Sind Sie sich bei den Farben wirklich sicher?«
»Ganz sicher. Ich zahle bar.«
Die Verkäuferin tänzelte zur Kasse.
»Möchten Sie vielleicht eine Tüte?«
»Gern, vielen Dank.«
Zwei Minuten später schlenderte er über die Canebière, als wäre er auf der Suche nach dem nächsten Schlepplift. Aber es war immer noch besser, sich lächerlich zu machen, als geschnappt zu werden. Doch wohin sollte er sich jetzt wenden? Wichtig war zunächst, die Prachtstraße Canebière zu verlassen und sich abseits des Hauptverkehrs fortzubewegen. Als er an einem Mülleimer vorbeikam, entsorgte er die Plastiktüte des Bekleidungshauses. Er hatte den Eindruck, immer mehr Ballast abzuwerfen, um besser davonfliegen zu können. Nur dass er nicht vom Boden hochkam.
Er ging den Cours Saint-Louis entlang und kreuzte die Rue du Pavillon, ehe er sich nach rechts wandte. War das nicht der Weg zum Vieux-Port? Den sollte er besser meiden. Er zögerte noch, als ein Transporter der Polizei mit kreischenden Bremsen stoppte. Mehrere Beamte sprangen heraus und rannten auf ihn zu.
Janusz drehte sich auf dem Absatz um und startete durch. Jetzt war es wohl endgültig vorbei. Im gesamten Viertel hörte er Sirenen. Über Funkgeräte wurde die Nachricht verbreitet, dass man ihn entdeckt hatte. Die ganze Stadt schien sein Todesurteil herauszuschreien.
Er stolperte über eine Bordsteinkante, fing sich gerade noch ab und gelangte auf einen langgestreckten Platz. Hastig rannte er quer darüber hinweg. Immer noch presste er seine Aktentasche an die Brust, obwohl er sicher glaubte, dass alles vorüber war. Doch just in diesem Augenblick entdeckte er eine Dampfsäule über der Straße. Es war wie im Märchen. Er wischte sich den Schweiß aus den Augen und sah einen halb geöffneten Gully, der von Absperrungen geschützt wurde. Das war die Lösung! Während er weiterrannte, hielt er Ausschau nach den Kanalarbeitern. Er entdeckte sie dreißig Meter weiter weg. Sie hatten sich Brötchen gekauft und standen lachend und rauchend beieinander.
Janusz sprang über die Absperrung, stieß den Gullydeckel mit dem Fuß beiseite und schwang sich auf die Leiter. Ob diese Chance wohl ein Zeichen Gottes war? Ein Beweis für seine Unschuld? Sprosse für Sprosse stieg er in die Dunkelheit hinunter. Als er wieder festen Grund unter den Füßen hatte, wandte er sich nach rechts, setzte seine Mütze ab und marschierte los, wobei er die Wasserrinne in der Mitte vermied. Er erreichte eine weitere Leiter und dann noch eine. Das Abwassersystem von Marseille verlief nicht nur unterirdisch, sondern offenbar vertikal !
Irgendwann kam er an eine Treppe, die er ebenfalls hinabstieg. Er landete in einer großen, von Neonröhren beleuchteten Betonhalle, über die
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