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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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mehrere Stege hinwegführten. Sie wirkte wie ein Maschinenraum mit Tanks, Röhren und Armaturentafeln. Ein Mann las mit einem tragbaren Endgerät Zählerstände ab. Er hatte Janusz offenbar nicht gehört, und Janusz begriff schnell, warum. Der Mann trug Kopfhörer. Sein Kopf unter dem Schutzhelm wippte rhythmisch im Takt.
    Janusz hielt ihm den Lauf seiner Waffe an den Nacken. Der Mann verstand sofort. Er riss sich die Kopfhörer aus den Ohren und hob die Hände.
    »Dreh dich um!«
    Der Mann gehorchte. Der Anblick der Waffe schien ihm keine Furcht einzuflößen. Er schwieg und blickte Janusz an. In seinem grauen Overall, den Stiefeln und dem Schutzhelm sah er aus wie ein Taucher. In seinen erhobenen Händen hielt er immer noch das Lesegerät und den zugehörigen Stift.
    »Wollen Sie mich töten?«, fragte er nach einer Weile.
    »Nicht, wenn du tust, was ich dir sage. Gibt es hier irgendwo einen Ausgang?«
    »Jede Menge. Jeder Stollen hat mehrere Öffnungen nach oben. Der nächste von hier …«
    »Welcher ist am weitesten entfernt? Vielleicht sogar außerhalb von Marseille?«
    »Der Ausgang am großen Sammelbecken in der Felsbucht von Cortiou.«
    »Da gehen wir hin.«
    »Aber das sind sechs Kilometer!«
    »Dann sollten wir keine Zeit verlieren.«
    Der Mann ließ die Arme sinken und ging zu einer Art Metallschrank.
    »Was machst du da?«, brüllte Janusz und zielte auf ihn.
    »Ich hole Ihnen Sicherheitsklamotten. Sie müssen sich doch schützen.«
    Er öffnete die Blechtüren. Janusz packte ihn an der Schulter, schob ihn beiseite, suchte sich einen Helm aus und setzte ihn auf.
    »Nehmen Sie auch eine Maske«, sagte der Kanalarbeiter mit ruhiger Stimme. »Wir kommen durch Trakte mit ungesunden Dämpfen.«
    Janusz betrachtete die Ausrüstungsgegenstände und zögerte. Es gab Stiefel, Overalls, Atemmasken und große Metallflaschen. Der Mann trat einen Schritt näher.
    »Darf ich?«
    Der Kanalarbeiter griff nach zwei Geräten, die an Gasmasken aus dem Ersten Weltkrieg erinnerten, und reichte Janusz eines davon. Außerdem gab er ihm ein Paar Stiefel.
    »Damit läuft es sich besser.«
    Immer noch gab sich der Mann außergewöhnlich zuvorkommend und selbstsicher. Janusz nahm es besorgt zur Kenntnis. Verbarg sich hier etwa eine Falle? Hatte er, ohne es zu bemerken, einen Alarm ausgelöst?
    Während Janusz sich anzog, fragte der Mann:
    »Was haben Sie denn auf dem Kerbholz?«
    »Wichtig ist nur eins«, antwortete Janusz. »Ich habe nichts zu verlieren. Hast du ein Funkgerät?«
    »Nein. Wir haben hier ein internes Telefon, mit dem ich Kontakt zu den anderen Teams aufnehmen kann. Außerdem kann ich mit meinem Terminal Nachrichten verschicken.«
    »Dann lassen wir es hier. Werden deine Kumpels deine Abwesenheit bemerken?«
    »Schön wär’s! Aber hier unten in den Kanälen bin ich nur eine Ratte wie alle anderen. Ich steige in den Schacht, überprüfe die Anlage und klettere wieder hoch. Die anderen kümmern sich nicht weiter darum.«
    Janusz konnte unmöglich feststellen, ob der Kerl bluffte. Mit der Waffe in der Hand winkte er vorwärts.
    »Los geht’s.«
    Sie stapften durch lange Tunnel, von denen einer wie der andere aussah. Janusz’ Körper war schweißüberströmt. In den Abwasserkatakomben herrschte eine klebrige, stinkende, abstoßende Hitze.
    Es dauerte nicht lange, ehe Janusz eine Erklärung für die Gleichgültigkeit des Kanalarbeiters gefunden hatte. Der Kerl war ein absoluter Monomane und wie besessen von seinem Beruf. Er fühlte sich in seinem Labyrinth wie zu Hause. Während sie durch die finsteren Gänge wanderten, redete er pausenlos. Über die unterirdische Kanalisation. Über die Geschichte von Marseille. Über die Pest und die Cholera …
    Aber Janusz hörte nicht zu. Er beobachtete Ratten, die in Höhe ihrer Gesichter über die Rohre kletterten. An den Kreuzungen standen Straßennamen, doch Janusz kannte sich nicht gut genug in der Stadt aus, um sich zurechtzufinden. Wie ein Blinder musste er dem Rattenmann folgen, der in seinen Stiefeln durch die zentrale Abwasserrinne watete.
    Längst hatte er das Gefühl für Zeit und Raum verloren. Nur ab und zu erkundigte er sich, ob es noch weit sei. Sein Begleiter gab ihm jedes Mal eine eher verwirrende Antwort, ehe er seinen historischen Monolog wieder aufnahm. Ein echter Spinner! Ein Mal, nur ein einziges Mal, bemerkte Janusz eine Veränderung im Gewirr der Rohre. Plötzlich wurden die Ratten zahlreicher. Sie wimmelten vor ihren Füßen, krochen übereinander und

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