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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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kletterten bis zur Decke hinauf. Ihr Quieken brach sich als tausendfaches Echo unter den Gewölben.
    »Das ist Les Baumettes«, erklärte der Kanalarbeiter. »Das Gefängnis. Hier gibt es Nahrung, Abfall und Wärme im Überfluss.«
    Janusz tippelte auf Zehenspitzen zwischen den wimmelnden Tierleibern hindurch. Ein Stück weiter wurde der Tunnel breiter und zu einem düsteren Kanal. Das schlammige Wasser reichte ihnen bis zu den Knien.
    »Das ist eine Abscheideranlage. Hier sammeln sich die festeren Bestandteile. Setzen Sie Ihre Maske auf. Hier beginnen die Ausdünstungen. Man nimmt keinen Geruch wahr, doch sie können tödlich sein.«
    Sie wateten weiter. Janusz hörte nur noch seinen eigenen Atem, der durch die Maske verstärkt wurde. In seinem Mund war ein Geschmack nach Eisen und Gummi.
    Einen Kilometer weiter veränderte sich das Bild. Sie erklommen einen schmalen Wall, der rechts und links um ein weites Becken herumführte.
    Der Kanalarbeiter nahm die Maske ab.
    »Hier geht es wieder.«
    Janusz japste nach Luft wie ein Ertrinkender. Er schluckte heftig, ehe er erneut die Frage stellte:
    »Ist es noch weit?«
    Sein Begleiter begnügte sich damit, den Zeigefinger auszustrecken. Am Ende des Tunnels erkannte Janusz etwas Helles. Eine Spiegelung auf dem schwarzen Wasser. Kleine, glitzernde Punkte, die wie Glimmer auf der Oberfläche schwammen.
    »Was ist das?«
    Der Kanalarbeiter griff nach seiner Schlüsseltasche.
    »Die Sonne.«

J anusz und der Kanalarbeiter schmiedeten einen Plan. Der Mann besaß einen Wagen, den er in der Nähe der Kläranlage geparkt hatte. Er würde Janusz in einem Dorf seiner Wahl absetzen und anschließend sofort vergessen.
    Ohne Helm und Maske sah der Kanalarbeiter aus, als verbringe er seine Freizeit gerne am Meer – vielleicht angelte er. Sein Gesicht war gebräunt und wettergegerbt.
    Sie standen auf einer hohen Klippe oberhalb des großen Sammelbeckens von Marseille. Unter ihnen breitete sich das Meer aus. In der Ferne brachen sich die Wellen an kleinen, schwarzen Inselchen. Der Ausblick war großartig, aber es stank zum Erbarmen.
    Wenn man sich über die Steilwand hinunterbeugte, erkannte man den wahren Zustand der Felsbucht von Cortiou. Gelblicher Schaum, Ströme von Exkrementen und Schlieren von Abfällen mischten sich in die dunkelblauen Fluten. Schreiende Möwen kreisten unablässig über den vielen Tonnen Schmutz.
    »Mein Auto steht ein Stück weiter. Ich bringe dich, wohin du willst. Und adieu.«
    Dass der Mann ihn jetzt duzte, entlockte Janusz ein Lächeln. Längst hatte er die Waffe wieder in den Gürtel gesteckt.
    »Du fährst. Und keine Sperenzchen«, fügte er der Form halber hinzu.
    »Wenn ich dich hätte reinlegen wollen, würdest du längst in irgendeinem Abwasserkanal herumdümpeln.«
    Janusz glaubte ihm. Was für ein Glück, dass er an diesen Eigenbrötler geraten war, der offenbar eine rebellische Ader besaß. Eine Ratte der Gegenkultur …
    Sie zogen sich um und stiegen in den Kangoo, dessen Geruch Janusz nach den unangenehmen Ausdünstungen der Abwasserkanäle geradezu wie ein süßer Duft erschien.
    Der Kanalarbeiter fuhr aus Marseille hinaus in Richtung Cassis. Während der ersten Kilometer beobachtete Janusz akribisch die Straße und die Küste, doch dann gab er es auf. Die Frage lautete nicht: Wohin?, sondern: Wie geht es weiter?
    Er öffnete seinen Aktenkoffer und entnahm ihm die Akte mit der Nummer K095443226.
    »Wohin soll ich fahren?«, fragte sein Begleiter.
    »Einfach immer nur geradeaus«, antwortete Janusz.
    Der erste Hefter enthielt Fotos vom Fundort der Leiche. Abgesehen von den Bildern des Minotaurus hatte Janusz noch nie etwas so Unglaubliches gesehen. Eine geschwärzte, abgezehrte Leiche lehnte in Märtyrerposition an den Felsen der Bucht und starrte mit leeren Augen in den Himmel. Auf beiden Seiten des Körpers breiteten sich riesige verbrannte Flügel aus. Am Boden lagen verkohlte Federn und Wachsreste.
    Janusz ging zu den Berichten der Polizisten über. Die Behörden von Marseille hatten keine halben Sachen gemacht. Sokows Tätigkeiten an den Tagen vor dem Mord waren bis ins Detail recherchiert worden, man hatte seine Herkunft zurückverfolgt und ein Persönlichkeitsprofil erstellt. Er stammte aus dem Osten und war als Punk mit Hund umhergetippelt. Man hatte auch mit dem Rauschgiftdezernat zusammengearbeitet, um nach der Herkunft des Heroins zu forschen, das in der Blutbahn des Toten gefunden wurde. Doch die Suche war ergebnislos geblieben.
    Ganz

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