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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Inszenierung zeugten von dem gleichen Wahnsinn. Nur ein Unterschied fiel Anaïs auf: Nirgends wurde erwähnt, dass die Leiche von Tzevan Sokow weniger als die übliche Menge Blut enthielt. Philippe Duruy hingegen hatte man mindestens einen, vielleicht sogar mehrere Liter Blut entnommen, was sie allerdings nie erklären, geschweige denn nachverfolgen konnte. Longo war nur aufgrund der blassen Hautfarbe der Leiche darauf gekommen. Der verkohlte Körper des Ikarus bot keine Möglichkeit für solche Beobachtungen.
    Gegen 11.30 Uhr, nachdem Anaïs alle Einzelheiten des Falls kannte, hatte sie Pascale Andreu angerufen. Die Ermittlungsrichterin war einverstanden gewesen, mit Anaïs zu Mittag zu essen. Und bei der Rückkehr aus dem Restaurant geschah das Unfassbare. Janusz floh mit der Ermittlungsakte unmittelbar vor ihrer Nase.
    Etwas Schlimmeres konnte überhaupt nicht passieren. Zum zweiten Mal innerhalb von achtundvierzig Stunden flutschte ihr der Flüchtige durch die Finger.
    Deversat hatte recht gehabt. Sie hätte Marseille im Winter genießen, lange Strandspaziergänge machen und sich in nichts weiter einmischen sollen.
    Anaïs richtete sich auf und schüttelte sich. Die Kriminalpolizei war in einer Villa aus dem 19. Jahrhundert untergebracht. Tatsächlich jedoch befand sich das Büro in einem modernen Anbau unmittelbar neben dem unter Denkmalschutz stehenden Gebäude. Aber die Fenster gingen zur Cathédrale de la Major hinaus. Die große Kirche war aus verschiedenfarbigen Steinen erbaut und sah mit ihren Creme- und Schokoladentönen wie ein italienischer Kuchen aus.
    Ihr Handy klingelte. Anaïs wischte sich Tränen aus den Augen. Die Tränen einer Besessenen, die nicht mehr wusste, woran sie war. Sie musste unbedingt mit dieser Chemie aufhören!
    »Hier Deversat. Was soll der Unfug? Ich hatte Ihnen verboten, sich weiter um diesen Fall zu kümmern.«
    »Das habe ich durchaus kapiert.«
    »Anscheinend zu spät. Jetzt stecken Sie voll im Schlamassel.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Kaum sind Sie in der Nähe, da gelingt Janusz die Flucht.«
    Plötzlich begriff Anaïs.
    »Verdächtigen Sie mich etwa?«
    »Ich persönlich nicht. Aber die Jungs von der Aufsichtsbehörde interessieren sich sicher dafür.«
    Anaïs Kehle war trocken.
    »Wurde bereits eine Untersuchung in die Wege geleitet?«
    »Keine Ahnung. Sie haben eben angerufen. Man erwartet Sie hier in Bordeaux.«
    Die Geschichte würde sie vermutlich sehr teuer zu stehen kommen. Die Aufsichtsbehörde würde in ihrer Vergangenheit herumwühlen, über ihre Borderline-Methoden in Orléans stolpern und feststellen, dass ihre psychische Gesundheit manchmal zu wünschen übrig ließ. Und dann würde herauskommen, dass ihr Vater gefoltert hatte.
    Deversats Stimme drang wieder an ihr Ohr. Sein Tonfall hatte sich verändert. Er klang jetzt freundlicher, fast väterlich.
    »Ich werde Sie natürlich unterstützen, Anaïs. Nehmen Sie sich die Sache nicht so zu Herzen. Sie sind noch jung und …«
    »Rutschen Sie mir den Buckel runter!«
    Wütend legte sie auf. Im gleichen Augenblick drehte sich der Schlüssel im Schloss und Crosnier kam herein. Mit seinem grau melierten Bart und der vierschrötigen Figur wirkte er gemütlich und heiter. Er betrachtete Anaïs mit einem spöttischen Lächeln.
    »Sie haben mich ganz schön verarscht.«
    Er sprach mit sanfter Stimme, aber Anaïs war auf der Hut. Vielleicht sah so seine Angriffsstrategie aus.
    »Ich hatte keine andere Wahl.«
    »Oh doch. Sie hätten mit offenen Karten spielen und mir die Situation erklären können.«
    »Wollen Sie behaupten, dass Sie mich dann noch unterstützt hätten?«
    »Ich bin sicher, dass Sie mich hätten überzeugen können.«
    Crosnier setzte sich rittlings auf einen Stuhl und kreuzte die Arme auf der Lehne.
    »Und jetzt?«
    In seiner Stimme lag nicht die leiseste Ironie, sondern eher ein müdes Wohlwollen.
    »Überlassen Sie mir die Akte Ikarus und geben Sie mir eine Nacht Zeit, sie durchzuarbeiten«, sagte Anaïs im Befehlston.
    »Wozu? Ich kenne das Ding in- und auswendig. Sie werden nichts Neues darin finden.«
    »Ich werde genau das finden, was Janusz darin sucht. Immerhin hat er ein ganz schönes Risiko auf sich genommen, als er die Akte aus dem Büro der Richterin geklaut hat.«
    »Sie hat mich eben angerufen. Man droht, ihr die Zuständigkeit für diesen Fall zu entziehen.«
    »Warum?«
    »Weil sie mit einer Polizistin gesprochen hat, die mit dem Fall nichts zu tun hat. Weil sie ihr Büro nicht

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