Der Ursprung des Bösen
hervorbrachte. Irgendwie passte das Ganze zum kitschigen Ambiente des Hauses.
Der Sammler ließ sich auf eine der Couchen fallen. Unter dem offenen Jackett trug er ein T-Shirt mit der Aufschrift FAITH in Frakturschrift.
»Setz dich. Zigarre?«
»Nein danke«, sagte Narcisse und ließ sich seinem Gastgeber gegenüber nieder.
Amsallem nahm eine dicke Zigarre aus einem chinesischen Lackkästchen, dessen Deckel er sofort wieder schloss. Mit einem Schnappmesser mit Elfenbeingriff beschnitt er das Ende der Zigarre, die er sich schließlich zwischen die blitzenden Zähne steckte und anzündete. Zufrieden paffte er dicke, blaue Wolken. Es konnte losgehen.
»An der Art Brut gefällt mir vor allem ihre Freiheit«, erklärte er, als würde er interviewt. »Und die Reinheit. Weiß du, wie Dubuffet sie definiert hat?«
Höflich schüttelte Narcisse den Kopf.
Sein Gegenüber fuhr spöttisch fort:
»›Wir verstehen darunter künstlerische Werke, die von Personen geschaffen werden, die nie mit künstlerischer Kultur zu tun hatten. Kunst, in der sich ausschließlich Erfindungsgabe manifestiert und nicht etwa die in der kulturellen Kunst immer vorherrschende Nachahmung.‹ Nicht schlecht, wie?«
Er paffte einen dicken Rauchring und wurde plötzlich ernst.
»Das einzige Gift«, fuhr er fort, »ist die Kultur. Sie erstickt jegliche Originalität, Individualität und Kreativität.« Er schwenkte seine Zigarre. »Und außerdem zwingt sie uns ihre politische Scheißbotschaft auf.«
Narcisse nickte nur. Er gab sich fünf Minuten, ehe er auf den Grund seines Besuchs zu sprechen kommen würde. Sein Gastgeber legte die Füße auf den Couchtisch. Er trug mit Gold abgesetzte Nikes.
»Willst du ein Beispiel? Du brauchst nur an die Madonnendarstellungen der Renaissance zu denken. Da Vinci, Tizian, Bellini. Sie sind zugegebenermaßen wunderschön, aber trotzdem stimmt etwas nicht. Der kleine Jesus ist niemals beschnitten. Mazel tov ! Für die Katholen ist Christus nicht einmal mehr ein Jude.«
Amsallem nahm die Beine vom Tisch und beugte sich mit konspirativer Miene zu Narcisse.
»Jahrhundertelang ist die Kunst der Macht in den Arsch gekrochen und hat die dicksten Lügen aufrechterhalten. Sie hat den Hass auf die Juden in Europa geschürt. All diese Bilder mit den kleinen Goj-Pimmelchen haben dem Antisemitismus Tür und Tor geöffnet.«
Er blickte auf die Uhr und fragte unvermittelt:
»Was willst du eigentlich von mir?«
»Mein Bild sehen«, antwortete Narcisse wie aus der Pistole geschossen.
»Nichts einfacher als das. Es ist in meinem Schlafzimmer. Sonst noch was?«
»Ja. Ich möchte es mir für einen Tag ausleihen.«
»Warum?«
»Weil ich etwas überprüfen will. Danach gebe ich es Ihnen sofort zurück.«
Ohne das geringste Zögern streckte Amsallem ihm über den Couchtisch hinweg seine Hand entgegen.
»In Ordnung. Du kriegst es, mein Junge. Ich vertraue dir.«
Verwirrt schlug Narcisse ein. Er hatte mit mehr Widerstand gerechnet. Amsallem erriet seine Überraschung. Er nahm die Zigarre aus dem Mund und sagte durch eine Rauchwolke:
»In Frankreich gibt es etwas, das sich Urheberrecht nennt. Ich finde das gut. Zwar habe ich dein Bild gekauft, aber du hast es gemalt, und deshalb wird es immer dir gehören – immer, hörst du?« Er sprang auf. »Komm mit!«
Narcisse folgte ihm durch einen mit schwarzer Seide ausgeschlagenen Flur. An jeder Tür waren Gold, Behänge und Marmor zu sehen. Überall standen italienische Büsten, Teppiche und lackierte Möbel herum wie in einem venezianischen Antiquitätenladen.
Amsallem betrat ein Zimmer mit einem riesigen, weißgoldenen Bett. Über dem Kopfende hing in einem hundert mal sechzig Zentimeter großen Rahmen das Bild Der Clown . Wie es sich gehörte, hatte der Clown ein weiß geschminktes Gesicht, zwei schwarze Linien, die sich an den Augen kreuzten, eine Trompete und einen Luftballon.
Narcisse trat näher an das Bild heran. Er erkannte die rötlichen Töne, die wilden Pinselstriche und die sarkastische Verzerrung des Gesichts wieder, doch erst jetzt entdeckte er das auffällige Relief seines Gemäldes. Bilder, die man nicht nur betrachten, sondern auch betasten kann. Die Farbe war erhaben wie ein Lavastrom und in wütenden Furchen und Rillen aufgetragen. Der Clown schien in seiner Darstellung aus der Froschperspektive die Welt zu dominieren.
Auf der anderen Seite nahm ihm sein lächerlich geschminktes Gesicht mit dem ängstlichen, unglücklichen Ausdruck jede Souveränität.
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