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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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sagen. Nach mehreren Vergewaltigungsversuchen an Kindern hat man ihn für unzurechnungsfähig erklärt und in einer Anstalt bei Bern untergebracht, die er zeitlebens nicht mehr verließ. In der Anstalt hat er angefangen, sich künstlerisch zu betätigen. Jede Woche bekam er einen Bleistift und zwei Blatt unbedrucktes Zeitungspapier zugeteilt. Manchmal zeichnete er mit einer nur wenige Millimeter breiten Mine. Auf diese Weise hat er Tausende Bilder gemalt. Als er starb, war seine Zelle von der Decke bis zum Boden mit Zeichnungen und selbst zusammengehefteten Büchern vollgestopft.«
    »Und was bedeutet die Papiertrompete?«
    »Darauf musizierte er. Er war zwar kein Musiker, aber er behauptete, in seinem Gehirn Noten zu hören.«
    Narcisse wurde von einem Schwindel gepackt. Ein krimineller Verrückter, der seine gewalttätigen Regungen in unendlichen Linien und Arabesken ertränkte. War er auch so?
    »Meine Liste«, sagte er mit dumpfer Stimme.
    Der Galerist reichte ihm die ausgedruckte Seite. Die hektische Röte in seinem Gesicht wich allmählich einer normaleren Tönung. Sein Körper in dem teuren Anzug richtete sich wieder auf. Vor allem schien er es jetzt eilig zu haben, sich des Wahnsinnigen zu entledigen.
    Narcisse warf einen Blick auf die Namen. Er kannte keinen davon. Die meisten Käufer schienen in Paris zu wohnen und waren sicher nicht schwer zu finden. Neben jedem Namen stand der Titel des erworbenen Gemäldes. Der Senator . Der Briefträger . Der Admiral .
    Narcisse steckte die Pistole ein und ging rückwärts Richtung Tür, als ihm plötzlich eine Idee kam.
    »Erzähl mir etwas über Courbet«, befahl er dem Galeristen, den er mit einem Mal duzte.
    »Courbet? Wieso Courbet?«
    »Mich interessiert vor allem das Bild Der Verletzte .«
    »Auf diese Epoche bin ich nicht spezialisiert.«
    »Sag einfach alles, was du weißt.«
    »Ich glaube, Courbet hat das Selbstbildnis irgendwann in der Zeit zwischen 1840 und 1850 gemalt. So ungefähr jedenfalls. Es ist ein berühmtes Beispiel für ein Repentir.«
    »Wie bitte? Was hast du da gerade gesagt?«
    »Ein Repentir. So nennt man ein Gemälde, das vom Künstler entweder sehr grundlegend korrigiert oder übermalt wurde.«
    Der Satz explodierte in Narcisses Gehirn. Meine Malerei ist ein Repentir. Seine Selbstbildnisse waren also nur Tarnung.
    » Der Verletzte . Erzähle davon.«
    »Bei dem Bild handelt es sich um ein klassisches Beispiel dafür«, begann Pernathy etwas ruhiger als zuvor. »Kunsthistoriker hatten sich schon lang gefragt, warum Courbet sich mit einer Wunde in der Herzgegend unter einem Baum liegend darstellte. Erst viel später erkannte man, dass das Gemälde ein Geheimnis beherbergte. In der ursprünglichen Version hatte der Maler sich mit seiner Verlobten gemalt, bis das Bild jedoch fertig wurde, hatte das Mädchen ihm den Laufpass gegeben. In seinem Schmerz hat Courbet sie übermalt und sie sozusagen symbolisch durch den Blutfleck auf dem Herzen ersetzt. Die Wunde ist also eine Wunde der Liebe.«
    Trotz seiner Aufregung gefiel Narcisse die Geschichte.
    »Und wie hat man davon erfahren?«
    »Das Bild wurde im Jahr 1972 geröntgt. Unter der Oberflächenfarbe kann man genau die Gestalt der Verlobten erkennen, die an Courbets Schulter in seinem Arm liegt.«
    Narcisse wurde immer unruhiger. Innerlich zitternd machte er sich klar, dass unter jedem seiner Selbstporträts ein anderes Bild existieren musste – die Darstellung einer Wahrheit, die entweder seine ursprüngliche Identität oder die Verbrechen des Obdachlosenmörders betraf. Eine Wahrheit, die man mit Röntgenstrahlen nachweisen konnte.
    Ehe er die Galerie verließ, wandte er sich noch einmal um.
    »Ich denke, es ist besser für uns beide, wenn wir uns nie im Leben gesehen haben.«
    »Verstehe.«
    »Du verstehst überhaupt nichts, aber das ist auch gut so. Und wehe, du warnst deine Kunden vor meinem Besuch. Wenn du das tust, komme ich zurück.«

N arcisse hatte den Eindruck, die Mitgliederliste eines Geheimclubs zu besitzen, einer Gruppe von Eingeweihten, die sich an seiner Verrücktheit ergötzten. Vampire der Seele. Perverse Voyeure. Neben den Namen der Sammler verzeichnete die Liste nicht nur die Adresse, sondern auch den Code der Eingangstür, die Zugangskontrolle zur Sprechanlage und die Handynummer. Da die Galerie die Werke frei Haus geliefert hatte, waren sämtliche praktischen Hinweise in das Dokument aufgenommen worden. Narcisse brauchte nur noch zu klingeln.
    Er spürte, dass er in Paris

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