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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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an, dann brachen sie in lautes Gelächter aus.
    »Willst du nicht vielleicht auch unsere Papiere sehen?«
    Nachrichten verbreiteten sich im Gefängnis wie ein Lauffeuer. Man wusste, dass sie Polizistin war, und machte einen Bogen um sie.
    »Ich muss unbedingt eine SMS schicken. Natürlich bezahle ich dafür.«
    »Und wie viel, Fickschlampe?«
    Eine der Frauen hatte die Rolle der Sprecherin übernommen. Sie trug eine Wolljacke offen über einem einfachen T-Shirt, das ihre Drachentattoos und Maorizeichen am Hals erkennen ließ.
    Anaïs versuchte gar nicht erst zu bluffen.
    »Im Moment gar nichts. Ich habe keinen Cent bei mir.«
    »Dann mach dich gefälligst vom Acker.«
    »Aber ich kann euch draußen helfen. Ich werde hier schließlich keinen Rost ansetzen.«
    »Das glauben sie alle.«
    »Schon, aber ich bin die einzige Polizistin hier auf dem Hof. Bullen bleiben nie lange im Knast.«
    Wieder entstand drückendes Schweigen. Die vier wechselten verstohlene Blicke.
    »Was willst du?«, fragte schließlich die Drachenfrau.
    »Organisiert mir ein Handy. Sobald ich draußen bin, setze ich mich für euch ein.«
    »Du gehst mir voll am Arsch vorbei«, fauchte eine der Frauen sie an.
    »Was du mit deinem Arsch machst, ist mir ziemlich schnuppe. Aber ich biete dir eine Gelegenheit, die so schnell nicht wiederkommt. Dir, deinen Brüdern, deinem Kerl, wem auch immer. Sobald ich wieder draußen bin, kann ich zum Richter, zum Staatsanwalt oder zu den ermittelnden Polizisten gehen.«
    Das Schweigen wurde womöglich noch beklemmender. Anaïs konnte fast das Räderwerk hören, das sich in den Köpfen der Frauen drehte. Für keine von ihnen gab es auch nur den geringsten Grund, ihr zu glauben. Aber im Gefängnis hangelt man sich von Hoffnung zu Hoffnung, ob man es nun will oder nicht.
    Anaïs ließ nicht locker.
    »Eine einzige SMS. Das dauert höchstens ein paar Sekunden. Ich schwöre, dafür tue ich auch etwas für euch.«
    Die Frauen sahen einander an. Sie verständigten sich mit kurzen Gesten und Blicken. Drei von ihnen rückten näher an sie heran. Zunächst fürchtete sie eine gehörige Abreibung, doch man schirmte sie lediglich von den Aufseherinnen ab.
    Plötzlich trat die Drachenfrau in die Mitte des Kreises. In der Hand hielt sie ein mit Klebeband zusammengeflicktes Handy.
    Anaïs griff nach dem Telefon und schrieb ihre SMS vor den Augen der Frauen. Nachdem sie die identifizierte Nummer eingegeben hatte, tippte sie: »Medina Malaoui, 64 Rue de Naples, 75009 Paris.« Sie zögerte kurz, ehe sie noch hinzufügte: »Viel Glück.«
    Dann wählte sie Freires Nummer und drückte den Sendeknopf.
    Sie war wirklich bescheuert!

C haplain erhielt die SMS von Anaïs an der Porte d’Orléans. Sie hatte nicht lang gefackelt, und die prompte Info besiegelte ihre Zusammenarbeit. Es sei denn, dass ihn vor der Rue de Naples Nummer 64 ein komplettes Einsatzkommando Bullen erwartete …
    Er teilte dem Taxifahrer Medina Malaouis Adresse mit und wählte dann die Nummer, die Anaïs ihm geschickt hatte. Eine Mailbox meldete sich. Die ernste Stimme war die der Anruferin vom 29. August. Chaplain hinterließ keine Nachricht. Ihm war es lieber, die Frau in ihrer Wohnung zu überraschen oder – noch besser – die Wohnung in ihrer Abwesenheit zu durchsuchen.
    Der Wagen fuhr über den Boulevard Raspail. Chaplain dachte an seinen Besuch am Morgen. Tatsächlich war es die im Gefängnis einsitzende Anaïs gewesen, die mit ihren kaum dreißig Jahren den Schlüssel zu seinem Schicksal entdeckt hatte: Er war das Opfer eines Versuchs. Einerseits fand er die Tatsache niederschmetternd, doch auf der anderen Seite keimte eine gewisse Hoffnung in ihm auf. Er war also nicht chronisch krank, seine Ausfälle waren auf eine Vergiftung zurückzuführen. Gegen ein Gift aber gab es immer auch ein Gegengift. Wenn man sein Syndrom künstlich herbeigeführt hatte, konnte man es auch wieder kurieren. Vielleicht war er ja schon auf dem Weg der Genesung, seit er sich von der mysteriösen Kapsel befreit hatte. Er betrachtete das winzige, metallisch glänzende Objekt. Nur allzu gerne hätte er es geöffnet, untersucht und analysieren lassen.
    Das Taxi erreichte die Rue Saint-Lazare, fuhr um den Cours d’ Estienne d’Orves mit der Kirche Trinité und bog in die Rue de Londres ein. Plötzlich überkam Chaplain ein verworrenes Gefühl. Er erinnerte sich, dass er das 9. Arrondissement nicht mochte. In diesem Teil von Paris tragen die Straßen Namen europäischer Städte, aber die

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