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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Quecksilberdämpfen entwickelt und mit einer Hyposulfitlösung fixiert.
    In den Büchern befanden sich Illustrationen, die zwar nicht besonders qualitätsvoll waren, aber trotzdem wie Quecksilber zu glänzen schienen. Sie erinnerten Anaïs an die Widersprüchlichkeit von Träumen: gleichzeitig dunkel und hell, verschwommen und genau.
    Als Nächstes wandte sie sich einer professionellen Abhandlung zu. Zwar begriff sie längst nicht alles, aber immerhin genug, um zu verstehen, dass die Technik langwierig und kompliziert war und die Belichtung sehr lange dauerte. War es wirklich möglich, dass der Mörder sich am Tatort die Zeit nahm, sein Werk mit einer derartigen Methode zu verewigen? Kaum zu glauben. Und doch existierte das Spiegelfragment, das man neben Ikarus gefunden hatte. Der Mörder musste die erste Platte zerbrochen und mit einer anderen weitergearbeitet haben. Er hatte die Scherben eingesammelt, aber ein Stück war offenbar seiner Aufmerksamkeit entgangen.
    Jäh fragte sie sich, ob man Solinas eine detaillierte Abschrift ihres Gesprächs mit Le Coz gegeben hatte. Sie hielt es für unwahrscheinlich, denn er hatte das Wort Daguerreotypie nicht erwähnt. Mit anderen Worten: Sie allein verfolgte diese Spur.
    Sie klappte die Bücher zu, schloss die Augen und stellte sich die Daguerreotypien der Tatorte vor. Der Minotaurus, Ikarus, Uranus …
    Plötzlich öffnete sie die Augen wieder. Sie sah die Platten nicht silbern, sondern golden. Oder vielmehr rötlich. Unbewusst hatte sie die chemische Abfolge der alten Technik mit einem bisher nicht gelösten Rätsel bezüglich der Leiche von Philippe Duruy in Zusammenhang gebracht. Mit dem Blut, das man ihm entnommen hatte. Wie, wenn der Mörder das Hämoglobin seines Opfers in den Entwicklungsprozess einbrachte? Wenn er den Lebenssaft nutzte, um die Leuchtkraft seiner Bilder zu verstärken?
    Schon immer hatte Anaïs sich für Kunst begeistert. Geschichten fielen ihr ein. Legenden über Tizian, der angeblich Blut in seine Bilder eingearbeitet hatte. Auch Rubens sollte angeblich Blut benutzt haben, um Licht wärmer und Fleisch lebendiger darzustellen. Und da war noch ein anderer Mythos: Es hieß, dass im 17. Jahrhundert menschliches Blut gemischt mit Öl und bestimmten Farben dazu verwendet wurde, Leinwände zu grundieren. Die Qualität einer solchen Grundierung sollte alles andere in den Schatten gestellt haben.
    Im Grunde war es ihr gleich, ob die Geschichten stimmten oder nicht – ihre Gedanken kreisten ununterbrochen um dieses Szenario. Sie hatte zu wenig Ahnung von Chemie, um sich vorstellen zu können, an welcher Stelle das Hämoglobin und das Eisenoxid ins Spiel kamen, aber sie war sich sicher, dass der Olymp des Mörders eine Kunstgalerie war, in der mit getrocknetem Blut und Goldchlorid behandelte Trägerplatten hingen.
    »Chatelet, es ist Zeit.«
    Die Aufseherin stand vor ihr. Anaïs’ Frage, ob sie noch einige Seiten fotokopieren dürfe, wurde strikt verneint. Sie fügte sich.
    Auch auf dem Weg den Gang entlang und an verschlossenen Türen vorbei wurde ihre Erregung nicht geringer. Daguerreotypien. Alchemie. Und Blut. Sie war überzeugt, etwas Wesentliches gefunden zu haben – doch wie sollte sie es überprüfen?
    Statt einer Antwort krachte die Zellentür hinter ihr ins Schloss. Anaïs ließ sich auf ihr Bett fallen. Durch die Zellenwand hindurch hörte sie das Radio ihrer Nachbarin. Auf dem Sender NRJ wurde Lily Allen interviewt, die sich gerade in Paris aufhielt. Die englische Sängerin erzählte, dass sie Frankreichs First Lady Carla Bruni gut kenne.
    »Könnten Sie sich vorstellen, einmal mit ihr im Duett zu singen?«, fragte der Moderator.
    »Ich weiß nicht recht. Carla ist sehr groß, und ich bin winzig. Vielleicht sollte ich lieber mit Sarkozy singen.«
    Unwillkürlich musste Anaïs lächeln. Sie bewunderte Lily Allen. Vor allem gefiel ihr der Song 22 , der in wenigen Worten die Verzweiflung einer Dreißigjährigen schildert, die feststellen muss, dass ihre besten Zeiten vorüber sind. Jedes Mal, wenn sie den Videoclip des Songs sah – Mädchen, die sich im Waschraum eines Nachtclubs zurechtmachen und dabei auf einen Neuanfang in ihrem Leben hoffen –, erkannte sie sich selbst.
    Sie schloss die Augen und kehrte in Gedanken zu ihren mythischen Bildern zurück.
    Daguerreotypien, auf denen Blut glänzte.
    Sie musste unbedingt hier raus.
    Sie musste die Spur dieses Ungeheuers finden.
    Sie musste diesem blutgierigen Raubtier das Handwerk legen.

D as

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