Der Ursprung des Bösen
Frühjahr in diesen Club eingeschrieben. Ich verstehe es nicht. Dort kann man doch wirklich nur Loser kennenlernen. Typen ohne Geld. Scheiße eben!«
»Vielleicht waren sie auf der Suche nach einem Ehemann. Oder einem Lebensgefährten.«
Sophie lächelte nachsichtig.
»Das glaube ich kaum.«
»Haben Sie eine andere Idee?«
Nachdem sie Schuhe und Gürtel zum Kleid gelegt und begutachtet hatte, schien sie zufrieden. Das Badewasser lief noch immer.
»Keine Ahnung«, sagte sie und drehte sich zu ihm um. »Ich weiß etwas. Glaubst du allen Ernstes, ich lasse meine Mädchen umsonst vögeln? Ich habe mich natürlich auch umgehört.«
»Und was haben Sie gefunden?«
»Dass sie sich sehr wohl bezahlen lassen.«
»Und von wem?«
Sie breitete die Arme aus.
»Ich weiß nur, dass einige von ihnen nie mehr aufgetaucht sind. Drei Durchgänge bei Sasha, und man ist weg vom Fenster. So ist es.«
Chaplain dachte an die Gerüchte, von denen ihm Lulu 78 erzählt hatte. Trieb sich im Dating-Club ein Serienmörder herum? Jemand, der sich nur an den Escort-Girls vergriff, die dort nichts zu suchen hatten? Oder ging es um Menschenhandel? Aber warum machte man dann den Umweg über einen Club wie sasha.com ?
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie sich so schnell zufriedengeben«, sagte er.
Sie trat ganz nah an ihn heran und strich zärtlich die Aufschläge seines Jacketts glatt.
»Ich habe dich gern, mein Kleiner. Deshalb möchte ich dir einen Rat geben: Lass die Finger davon. Es gibt ein unfehlbares Mittel, sich Ärger zu ersparen – man darf ihn einfach nicht provozieren.«
Mit diesen Worten begleitete sie ihn zur Tür. Die Audienz war beendet, die Pythia hatte gesprochen.
An der Tür wagte Chaplain eine letzte Frage.
»Sagt Ihnen der Name Mêtis etwas?«
Erneut lächelte Sophie. Ihre Nachsicht war zu Zärtlichkeit geworden. Er konnte sich sehr gut vorstellen, wie Sophie ihre Leute bei Laune hielt. Sie verströmte eine Art mütterlicher Wärme, die eine Gruppe fester zusammenschmieden konnte, als jede Drohung es vermocht hätte.
»Dass ich mein Geschäft so lange ausüben konnte, habe ich einer gewissen Protektion zu verdanken.«
»Von wem?«
»Von Leuten, die mir Schutz bieten können.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Umso besser. Das System funktioniert nämlich in beide Richtungen. Sie schützen mich, ich schütze sie. Hast du das verstanden?«
Sie war eine orientalische Madame Claude.
»Mit anderen Worten: Mêtis hat etwas mit Macht zu tun.«
Sophie hauchte einen Kuss auf ihren Zeigefinger und drückte ihn Chaplain auf die Lippen. Gerade wollte sie die Tür schließen, als er sie ein letztes Mal zurückhielt.
»Medina war also nicht das einzige Mädchen, das zu den Treffen bei sasha.com ging. Können Sie mir vielleicht einen weiteren Namen nennen?«
Sie schien nachzudenken. Schließlich antwortete sie:
»Leila. Sie ist Marokkanerin, und ich glaube, dass sie den Unfug noch mitmacht. Barak allahu fik !
S ie hatte bis 17.00 Uhr warten müssen, ehe sie wieder in die Bibliothek durfte. Wie alle anderen hatte sie sich den Regeln des Gefängnisses zu unterwerfen – die jedoch wechselten von Tag zu Tag, um Fluchtmöglichkeiten zu unterbinden.
Als Erstes suchte sie nach Büchern über die Geschichte der Fotografie. Seit Le Coz von Daguerreotypien gesprochen hatte, setzte sie ihre ganze Hoffnung auf diese Spur. Wenn sie annahm, dass der mythologische Mörder diese Methode benutzte, um seinen Taten zur Unsterblichkeit zu verhelfen, musste sie sich zumindest mit der Materie vertraut machen.
Eigentlich war ihre Idee ganz einfach. Bisher war der Mörder ausgesprochen vorsichtig gewesen. Sie hatten weder die Herkunft des Heroins noch die des Wachses, der Federn oder der Flügel des Gleitschirms nachweisen können. Auch das Anästhetikum, mit dem der Opferstier betäubt wurde, hatte keine Spur geliefert. Zwischen dem Mörder und seinen Tatwerkzeugen war nicht die geringste Verbindung herzustellen. Aber vielleicht war er bei seinen Daguerreotypien weniger aufmerksam gewesen. Möglicherweise verrieten ihn die für eine so spezifische Technik notwendigen Produkte.
In den Büchern stand, dass die Erfindung des Pariser Malers Louis Jacques Mandé Daguerre aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammte. Die Technik beruht auf einer polierten, versilberten Kupferplatte, die durch Joddampf lichtempfindlich gemacht wurde. Man setzte sie dem durch das Objektiv einer Kamera einfallenden Licht aus, anschließend wurde das Bild mit
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