Der Ursprung des Bösen
Papiere hier deponiert hatte, war bestrebt gewesen, sie vor Feuchtigkeit zu schützen. Auch das Innere der Kartons war mit Müllsäcken ausgelegt.
Wer mochte dieses Archiv an dieser Stelle untergebracht haben?
Er selbst. Während seiner Forschungen hatte er die Gefahr gespürt, sein Hauptquartier im Haus seiner Eltern aufgeschlagen und alle Beweisstücke von seiner Suche sowie seine persönlichen Papiere hier verborgen.
Er öffnete das Fenster und stieß die Läden zur Seite. Regen sprühte ins Zimmer. Schnell schloss er das Fenster wieder und drehte sich um. Ein mit einer Stahlplatte verschlossener Kamin nahm die rechte Wand ein. Die Tapete zeigte noch die Spuren der Möbel, die früher einmal hier gestanden hatten. Ein Bett, ein Schrank, eine Kommode. Helle Rechtecke an der Wand sprachen für Poster. Kubiela ahnte, dass dies sein Zimmer gewesen sein musste. Hier hatte er seine frühe Jugend verbracht.
Er wandte sich wieder den Kartons zu. Sicher würde es ihn viele Stunden kosten, ihren Inhalt zu studieren.
Kubiela rieb sich die Hände wie vor einem warmen Feuer und kniete sich vor seinem Schatz hin. Er lächelte.
Seinem Schicksal wohnte eine bittere Logik inne.
Mit leeren Kartons hatten seine Nachforschungen in Bordeaux angefangen.
Und sie endeten mit vollen Kartons in Pantin.
D as Gesicht von Solinas war allein schon den Abstecher wert. Zwar wusste der Kommissar, dass Anaïs aus dem Gefängnis entlassen werden sollte, doch er rechnete nicht damit, dass sie prompt darauf in seinem Büro aufkreuzen würde. Vermutlich war er davon ausgegangen, dass sie ihre Ermittlungen wieder im Alleingang aufnehmen wollte.
»Komm wieder zu dir, Solinas. Ich bin es nur.«
Der Kommissar schob seine Brille auf die Stirn.
»Ehrlich gesagt überraschst du mich.«
»Wir haben schließlich einen Deal, oder?«
Er machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Ach, weißt du, die Deals heutzutage …«
Anaïs setzte sich ihm gegenüber an den Schreibtisch. Beide blieben sehr höflich und ein wenig unterkühlt. Sie stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch und begann.
»Ich stehe unter richterlicher Aufsicht. Am Montag muss ich zum Richter, der mich vielleicht sofort wieder ins Kittchen schickt. Wenn nicht, werde ich dank der Gunst meines Herrn Vaters nach Bordeaux zurückgeschickt. Das bedeutet, dass mir nur der heutige Tag und das Wochenende bleiben, um in unserer Angelegenheit weiterzukommen.«
Solinas schmunzelte. Er begann zu begreifen.
»Du hast ja ganz schön Feuer unterm Hintern.«
»Und ich muss mich sputen, ehe man mir wieder Knüppel zwischen die Beine wirft.«
Sein Lächeln wurde breiter.
»Wie weit bist du inzwischen?«, erkundigte sie sich.
Solinas verzog das Gesicht und fummelte wieder an seinem Ehering herum.
»Nicht viel weiter als vorher. Wir wissen jetzt, dass die Leiche tatsächlich die von Medina Malaoui ist, nachdem wir in ihrer Wohnung DNA-Spuren sichergestellt haben.«
»Wird sie exhumiert?«
»Wozu? Diese Leiche können wir getrost vergessen. Es gibt hier nicht die geringsten Anhaltspunkte.«
»Habt ihr ihre letzten Kontakte unter die Lupe genommen?«
»Wir wissen nicht einmal genau, wann die Dame verschwunden ist. Außerdem haben wir in ihrer Wohnung weder ein Notizbuch noch einen Computer gefunden. Entweder hat Janusz sie mitgenommen, oder andere waren vor ihm da.«
»Die Anruferliste?«
»Da sind wir dran. Aber irgendwie habe ich das ungute Gefühl, dass sie für ihre Kundenkontakte ein anderes Handy benutzte.«
»Bankkonten?«
»Nichts Auffälliges. Aber Freizeitnutten lassen sich ohnehin nur schwarz bezahlen.«
»Nachbarschaftsbefragung?«
»Hat nichts ergeben. In ihrem Viertel kannten sie nur wenige. Man sah sie so gut wie nie, weil sie ihr Leben bei Nacht führte.«
»Aber sie war doch auch als Studentin eingeschrieben.«
»Ihre Kunden haben vermutlich ihren Arsch öfter gesehen als die Profs ihre blonden Locken.«
Die vulgäre Ausdrucksweise des Kommissars störte Anaïs ein wenig, aber bei der Polizei ist es wie im richtigen Leben: Man sucht sich seine Familie nicht aus.
»Hatte sie einen Zuhälter? Oder gehörte sie einem Netzwerk an?«
»Danach suchen wir noch.«
»Habt ihr die Sitte schon eingeschaltet?«
»Nein«, antwortete Solinas. »Ich will keine Hilfe von außen.«
»Dann weiß also niemand, dass die Leiche inzwischen identifiziert ist?«
»Niemand.«
Anaïs musste lächeln. Da dieser Kommissar den Fall im Alleingang lösen wollte, durfte er niemanden um etwas
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