Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
Vom Netzwerk:
seiner Hand befanden sich nur Schulhefte, die er selbst in einem Zimmer eines baufälligen Einfamilienhauses versteckt hatte.
    Sein Tagebuch begann mit dem 4. September 2008, als er in der Klinik Sainte-Anne einen etwa vierzigjährigen Mann aufnahm, der sein Gedächtnis verloren hatte. Er entschloss sich, die Entwicklung im Fall dieses Kranken Schritt für Schritt zu dokumentieren. Der Mann, der weder Röntgen noch CT zulassen wollte, berichtete schon sehr bald wieder von Erinnerungen. Er hieß David Gilbert, war Ingenieur und lebte in einem der südlichen Pariser Vororte.
    Kubiela überprüfte seine Angaben, die sich samt und sonders als falsch herausstellten.
    Gleichzeitig war die Polizei auf der Suche nach dem verschollenen Christian Miossens in Sainte-Anne aufgetaucht und hatte in Gilbert den Vermissten erkannt. Nur langsam und offenbar widerstrebend hatte der Patient seine ursprüngliche Identität wieder angenommen. Nach einem Monat in der Klinik war er zu seiner Schwester Nathalie Forestier zurückgekehrt. Kubiela hatte die Diagnose schriftlich festgehalten: Miossens litt unter einer psychischen Flucht, einem in Frankreich bis dahin fast unbekannten Syndrom.
    Daraufhin beschäftigte sich der Psychiater mit der angelsächsischen Fachliteratur und besprach sich mit seinen Kollegen. Dabei hörte er von einem anderen Fall, einem gewissen Patrick Serena, der in der Spezialklinik Les Châtaigners bei Lorient betreut wurde. Man hatte den Mann im September 2008 an einer Nationalstraße in der Nähe von Saint-Nazaire aufgegriffen. Er behauptete, Alexandre zu heißen, arbeitete aber als leitender Angestellter in einem digitalen Verlag, war unverheiratet, wohnte in Puteaux bei Paris und war im April 2008 bei einer Verkaufstour spurlos verschwunden. Wie war der Mann in die Bretagne gekommen? Wodurch wurden seine Symptome ausgelöst? Was hatte er zwischen April und September 2008 gemacht? Jedenfalls hatte er selbst um Einweisung gebeten und wurde seither stationär in Les Châtaigners behandelt.
    Kubiela hatte die Übereinstimmungen zwischen den beiden Fällen notiert. Anschließend war er nach Lorient gefahren und hatte mit Serena gesprochen. Er konnte den Patienten überzeugen, ihn nach Sainte-Anne zu begleiten, wo er weiterhin stationär behandelt werden sollte. Der Patient war zur Zusammenarbeit bereit und beantwortete gern alle Fragen des Psychiaters, doch weigerte er sich ebenso wie Miossens, bildgebende Verfahren jeglicher Art über sich ergehen zu lassen.
    Der Arzt hatte das Erinnerungsvermögen der beiden Männer bis ins Detail durch die Gabe von Medikamenten, durch Hypnose und in Gesprächen untersucht. Nach und nach traten weitere Parallelen zutage. Da war vor allem der Gebrauch eines Nicknames. Christian Miossens nannte sich selbst häufig »Gentil-Michel«, Serena »Alex-244«. Der Psychiater konnte sich diese Namen nicht erklären. Auch die Orte, die sie auf eine etwas konfuse Weise beschrieben, ähnelten sich. Da war zum Beispiel eine Fischerbar mit Boxen, an deren Wänden Segel hingen, oder ein silberfarbenes Souterrain mit Möbeln, die wie Einzeller aussahen.
    Kubiela war durch die Bars von Paris gestreift und hatte das Pitcairn im 4. Arrondissement sowie das Vega im 9. entdeckt, wo die Speed-Dating-Agentur sasha.com ihre Mitgliedertreffen organisierte. Er erinnerte sich der Nicknames und hatte daraus geschlossen, dass sowohl Miossens als auch Serena, beide ledig, Clubmitglieder waren und hier ihre Traumfrau kennenzulernen hofften.
    Im Dezember 2008 war der Psychiater bereits beim dritten Heft seiner Aufzeichnungen angekommen, als ein Kollege aus Sainte-Anne ihm von einem weiteren Fall psychischer Flucht berichtete, von dem er bei einer Weiterbildung in Blois gehört hatte. Kubiela hatte den Patienten in der Anstalt von La Ferté bei Tours kennengelernt. Die Übereinstimmungen mit den anderen Fällen waren frappierend.
    Auch bei ihm handelte es sich um einen unter Amnesie leidenden Mann, der sein Gedächtnis wiedergefunden zu haben glaubte. Ebenso wie die anderen hatte er alle bildgebenden Verfahren abgelehnt und war schließlich von seiner wahren Herkunft eingeholt worden. Er hieß Marc Kazarakian, stammte ursprünglich aus Armenien und hatte in einer ganzen Reihe von Jobs gearbeitet, ehe ihn eine schwere Depression zur Untätigkeit verurteilte. Aus seinem Heimatort Sartrouville war er im Juli 2008 verschwunden, um irgendwann ohne die geringste Erinnerung im Departement Indre-et-Loire

Weitere Kostenlose Bücher