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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Daguerreotypie.«
    Simonis entspannte sich. Seine Schultern sackten hinunter, und sein Doppelkinn kam zur Ruhe. Mit lauter Stimme, um den Lärm der Schleifmaschinen und Hämmer zu übertönen, begann er einen Vortrag, dem sie nicht zuhörte. Sie nahm sich vor, ihm fünf Minuten Geschwafel zu gönnen, ehe sie zur Sache kam.
    Während er sprach, überlegte sie. Konnte dieser Mann der Mörder sein? An Körperkraft fehlte es ihm sicher nicht, dafür aber an Schnelligkeit. Zwar konnte sie sich gut vorstellen, dass er einem Stier den Kopf absägte oder einen Obdachlosen entmannte, aber … Die fünf Minuten waren vorbei.
    »Entschuldigen Sie«, unterbrach sie seinen Redefluss, »aber wie viele Fotografen in Frankreich arbeiten noch mit Daguerreotypien?«
    »Höchstens ein paar Dutzend.«
    »Geht es etwas genauer?«
    »Etwa vierzig.«
    »Und in der Umgebung von Paris?«
    »Vielleicht zwanzig.«
    »Könnten Sie mir eine Liste erstellen?«
    Der Dicke beugte sich zu ihr hinunter. Er überragte sie um mindestens zwanzig Zentimeter.
    »Wozu?«
    »Sie haben sicher genügend Krimis gesehen, um zu wissen, dass die Kommissare zwar Fragen stellen, aber niemals welche beantworten.«
    Er fuchtelte mit seiner fetten Hand vor ihrer Nase herum.
    »Entschuldigen Sie, aber haben Sie überhaupt ein Mandat oder so etwas?«
    »Mandate sind Sache der Post. Sollten Sie ein von einem Richter unterzeichnetes Rechtshilfeersuchen meinen, so habe ich es nicht bei mir. Ich könnte es natürlich holen, aber damit würde ich wertvolle Zeit verlieren. Dafür aber müssten Sie zahlen, das versichere ich Ihnen.«
    Der Mann schluckte erneut, wobei sich die verdauende Boa erneut zeigte.
    »Zum Ausdrucken müssen wir in mein Büro.«
    »Okay, gehen wir.«
    Simonis sah sich um. Die Arbeiter werkelten weiter, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Der Lärm der Schleifmaschinen und Bohrer war ohrenbetäubend. Der Geruch weißglühenden Eisens lag in der Luft. Der Künstler schien seine Baustelle nur ungern zu verlassen, doch dann wandte er sich einem verglasten Büro am Ende des Saals zu. Anaïs folgte ihm.
    »Ich muss Sie allerdings warnen: Nicht alle Künstler haben sich unserer Vereinigung angeschlossen.«
    »Das kann ich mir denken, aber wir verfügen über Mittel und Wege, sie ausfindig zu machen. Zum Beispiel, indem wir die Lieferanten der notwendigen Utensilien kontaktieren.«
    »Wir?«
    Sie zwinkerte ihm zu.
    »Macht es Ihnen keinen Spaß, ein bisschen Detektiv zu spielen?«
    Die Boa zuckte schon wieder. Anaïs nahm es als Zustimmung.
    Eine Stunde später hatten die beiden Verbündeten eine vollständige Liste aller Fotografen erstellt, die mit Daguerreotypien arbeiteten. Und zwar für ganz Frankreich. Achtzehn von ihnen waren in der Region Paris tätig, mehr als zwanzig im übrigen Frankreich. Anaïs schätzte, dass sie alle Pariser Künstler bis zum folgenden Abend aufsuchen konnte. Was die anderen anging, so würde man später weitersehen.
    »Kennen Sie alle persönlich?«
    »So gut wie«, antwortete der Fotograf.
    »Kommt Ihnen von diesen Namen einer verdächtig vor?«
    »Inwiefern verdächtig?«
    »Ein Mörder zu sein.«
    Seine Augenbrauen hoben sich, und seine Hängebacken schwabbelten entrüstet.
    »Nein. Nie im Leben!«
    »Macht einer von diesen Leuten vielleicht brutale Bilder?«
    »Nein.«
    »Und was ist mit Fotos nicht ganz astreinen Inhalts? Oder mythologischen Bildern?«
    »Nein. Das sind doch völlig absurde Fragen! Sprechen Sie wirklich von Daguerreotypien?«
    »Oh ja.«
    »Bei dieser Technik muss das abgelichtete Objekt zumindest einige Sekunden lang völlig unbeweglich bleiben. Eine bewegte Szene kann man so nicht aufnehmen.«
    »Ich dachte eher an Stillleben. Leichen zum Beispiel.«
    Simonis rieb sich die Stirn. Anaïs trat einen Schritt vor und drängte ihn damit gegen die Scheibe.
    »Hatte eines Ihrer Mitglieder schon einmal Ärger mit der Justiz?«
    »Aber nein! Jedenfalls nicht, dass ich wüsste.«
    »Gab es auch nie bizarre Neigungen?«
    »Nein.«
    »Psychische Störungen?«
    Der Koloss starrte Anaïs mit schweren Augen an, antwortete aber nicht. Zwischen den Glaswänden seines Büros wirkte er ein bisschen wie ein Wal im Aquarium.
    Anaïs ging zum wesentlichen Thema über.
    »Wenn ich Sie richtig verstanden habe, spielt die Chemie eine wichtige Rolle bei dieser Technik.«
    »Richtig. Zunächst wird die Platte mit Jod bedampft, später mit Quecksilber. Anschließend …«
    »Wäre es möglich, zwischen diesen Arbeitsschritten Blut

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