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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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einsetzen, haben Sie keine zweite Chance.«
    11:00 Uhr vormittags.
    Am Vortag hatte Anaïs nur vier Fotografen angetroffen. Alle waren sehr sympathisch und mit Sicherheit unschuldig. Dank eines Navis, das nur in einem von fünf Fällen funktionierte, war sie stundenlang in den Pariser Vororten herumgekurvt und schließlich gegen zwei Uhr morgens erschöpft in einem Ibis-Hotel gestrandet.
    Jetzt saß sie bei einem gewissen Jean-Michel Broca in Le Plessis-Robinson. Es war der dritte Besuch dieses Vormittags. Broca, ein angesagter Künstler, nahm für sich in Anspruch, die Sprache der Fotografie neu entdeckt zu haben. »Die einzig wahre Sprache! Die Sprache der flirrenden Kontraste, des schimmernden Schwarz-Weiß, der atemberaubenden Einzelheiten!« Sie hatte nichts in Erfahrung gebracht, abgesehen von der Überzeugung, dass auch er nicht der Mörder sein konnte, denn er war gerade erst von einer viermonatigen Reise nach Neukaledonien zurückgekehrt.
    Schließlich gelang es ihr, die heikle Frage unterzubringen:
    »Ist es Ihrer Meinung nach möglich, menschliches Blut in den chemischen Prozess der Daguerreotypie einzubinden?«
    »Wie bitte? Menschliches Blut?«
    Zum soundsovielten Mal erklärte sie ihre Hypothese. Hämoglobin. Eisenoxid. Die Abfolge der Entwicklung des Bildes. Broca wirkte zwar schockiert, doch Anaïs spürte, dass die Idee ihn interessierte. In der zeitgenössischen Kunst war die Arbeit mit Dejektionen organischer Substanzen gerade sehr aktuell. Damien Hirst hatte Ganzkörperquerschnitte von Rindern in einer Schnittreihe angeordnet, und Andres Serrano stellte Fotos von einem Kruzifix aus, das in einen mit Urin befüllten Plexiglasbehälter getaucht war. Warum also sollte man keine Bilder mit Blut überziehen?
    »Damit muss ich mich erst eingehender beschäftigen und Versuche machen«, stammelte er.
    Eine weitere Irrfahrt führte sie um die Mittagszeit zu Yves Peyrot, der jenseits der Marne in einem versteckten Häuschen in Neuilly-Plaisance wohnte. Er war der achte auf ihrer Liste. Nahm man die beiden seit mehreren Monaten auf Auslandsreisen befindlichen Fotografen aus, musste sie nach diesem noch acht weitere Künstler aufsuchen.
    Nach Broca, dem Visionär, traf sie in Peyrot einen Handwerker an. Er zeigte ihr jedes einzelne Utensil, das er für seine Arbeit benötigte, und betonte, dass er alles selbst hergestellt hatte. Anaïs blickte auf die Uhr. Peyrot war mit seinen siebzig Jahren und höchstens sechzig Kilo Lebendgewicht sicher nicht der Mörder.
    »Ich bemühe mich, die Perfektion der Meister um 1850 zu erreichen«, erklärte der alte Mann und holte seine Sammlung hervor. »Sie allein brachten eine derart weit gefächerte Tonskala zustande, angefangen bei strahlendem Licht bis hin zu den dunkelsten Schatten.«
    Anaïs beglückwünschte ihn und ging zur Tür.
    13:00 Uhr.
    Sie fuhr wieder in Richtung Paris. Ihr nächstes Opfer war ein Fotograf, den sie am Vortag nicht angetroffen hatte. Er hieß Remy Barille und wohnte im 11. Arrondissement. In seiner Begeisterung für Geschichte textete er sie mit Daten, Namen und Anekdoten zu. Erst nach 15.00 Uhr konnte sie ihre Frage nach dem menschlichen Blut anbringen, erntete aber lediglich einen entrüsteten Blick. Höchste Zeit zu verschwinden.
    Als sie sich verabschiedete, fuchtelte der Historiker mit den Armen:
    »Aber wir sind doch noch gar nicht fertig! Ich muss Ihnen noch die Techniken der Prä-Daguerreotypie, der Heliochromie und des Dioramas erklären!«
    Anaïs war bereits im Treppenhaus.

D er Frauenarzt, der Franciszka entbunden hatte, lebte nicht mehr. Die zuständige Hebamme war unauffindbar. Schließlich machte sich Kubiela auf den Weg zum Einwohnermeldeamt, um die Archive einzusehen. Die Büros waren geschlossen – er hatte ganz vergessen, dass es Samstag war.
    Enttäuscht war er in das Haus seiner Mutter zurückgekehrt und hatte sich wieder mit den Papieren beschäftigt. Bei dieser Gelegenheit war ihm ein Detail aufgefallen: In den letzten Untersuchungsberichten hatte man oben rechts in der Ecke die Namen der Personen vermerkt, die eine Kopie erhalten hatten. Unter ihnen war ein Psychiater, der als externer Arzt für die psychiatrischen Anstalten von Paris gearbeitet hatte. Er hieß Jean-Pierre Toinin und war Leiter des Medizinischen Zentrums Esquirol gewesen.
    Kubiela ahnte, was geschehen war. Franciszka hatte ab dem fünften Schwangerschaftsmonat so massive psychische Probleme bekommen, dass man sich an einen Spezialisten wenden

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