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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Barkeeper diskret ihre Dienstmarke vor und erläuterte den Grund ihres Besuchs. Der Mann rief einen Caddie herbei, der laut Namensschild auf seinem grünen Pulli Nicholas hieß, und erklärte, dass Doktor David Thiaux sich auf dem Parcours befände. Anaïs ging mit dem Caddie hinaus. Gerade als sie eines der Golfcarts besteigen wollten, erfuhren sie, dass der Arzt bereits in die Garderobe zurückgekehrt war. Anaïs ließ sich hinbringen.
    »Hier ist es«, erklärte Nicholas und blieb vor einer Holzvilla am Fuß eines kleinen Hügels stehen. »Allerdings haben hier nur Männer Zutritt.«
    »Bitte begleiten Sie mich hinein.«
    Sie betraten das Reich der Männer. Man hörte das Plätschern der Duschen und Stimmen; es roch nach Schweiß und Herrenparfüm. Männer standen vor ihren Holzspinden und zogen sich an, andere kamen triefend und mit ihren Schwänzen auf Halbmast aus der Dusche, wieder andere kämmten sich oder cremten sich mit Feuchtigkeitslotion ein.
    Anaïs hatte den Eindruck, in eine Höhle männlicher Allmacht einzudringen. Hier sprach man sicher nur über Geld, Macht, Politik und sportliche Höchstleistungen. Und natürlich über Sex. Wahrscheinlich rühmte man sich seiner Geliebten, seiner Heldentaten und seiner Erfolge in gleicher Weise wie seiner Spielstände auf dem Green. Noch hatte niemand von ihr Notiz genommen.
    Sie wandte sich an Nicholas.
    »Wo ist Thiaux?«
    Der Caddie zeigte auf einen Mann, der gerade seinen Gürtel schloss. Er war groß und massig, hatte graues Haar und war in den Fünfzigern. Anaïs trat auf ihn zu. Sie fühlte sich plötzlich sehr unbehaglich. Der Mann ähnelte ihrem Vater. Er hatte das gleiche breite, leicht gebräunte, gut geschnittene Gesicht – das Gesicht eines Großgrundbesitzers, der es liebt, sein Land unter seinen Füßen zu spüren.
    »Doktor Thiaux?«
    Der Mann lächelte Anaïs an. Ihr Unbehagen verstärkte sich. Er hatte auch die gleichen Augen wie ihr Vater – Augen von der trügerischen Klarheit eines Eisbergs, der ganz harmlos aussieht, aber unter der Oberfläche Schiffsrümpfe aufschlitzt.
    »Der bin ich.«
    »Anaïs Chatelet, Kriminalhauptkommissarin bei der Mordkommission Bordeaux. Ich möchte mit Ihnen über Philippe Duruy sprechen.«
    »Philippe. Ja, er ist mein Patient.«
    Der Mann stellte einen Fuß auf die Bank und schnürte seinen Schuh zu. Der Lärm und die Hektik seiner Umgebung schienen an ihm abzuprallen. Anaïs ließ ihm Zeit.
    Während der Arzt den zweiten Schuh zuschnürte, fragte er:
    »Hat er Ärger?«
    »Er ist tot.«
    »Eine Überdosis?«
    »Richtig.«
    Thiaux richtete sich auf und nickte langsam und resigniert.
    »Sie scheinen sich nicht darüber zu wundern.«
    »Bei dem Zeug, das er sich ständig gespritzt hat, wundert mich gar nichts.«
    »Sie haben ihm Subutex verschrieben. Hat er versucht aufzuhören?«
    »Phasenweise. Als er mich das letzte Mal aufgesucht hat, war er bei vier Milligramm Subutex angelangt. Er schien auf dem richtigen Weg zu sein, aber viel Hoffnung hatte ich nicht für ihn. Sie sehen es ja …«
    Der Arzt zog seinen Mantel über.
    »Wann haben Sie Philippe zum letzten Mal gesehen?«
    »Da müsste ich erst in meinem Kalender nachsehen. Vor ungefähr zwei Wochen.«
    »Was wissen Sie über ihn?«
    »Nicht viel. Er kam nur in die Ambulanz, um sein Monatsrezept abzuholen, ließ seinen Hund draußen vor der Tür und redete wenig.«
    »In die Ambulanz? Kam er nicht zu Ihnen in die Praxis?«
    Der Arzt knöpfte seinen Mantel zu und schloss die Sporttasche.
    »Nein, ich halte jeden Donnerstag im Viertel Saint-Michel in einer medizinisch-psychologischen Ambulanz eine Sprechstunde ab.«
    Anaïs hatte bereits Schwierigkeiten bei der Vorstellung, wie dieser gutbürgerliche Mediziner einen verwahrlosten Freak wie Philippe Duruy in seiner Praxis behandelte. Doch dass er sich Woche für Woche um die Randgruppen der Gesellschaft kümmerte, kam ihr noch unwahrscheinlicher vor.
    Er schien ihre Gedanken lesen zu können.
    »Sie wundern sich, dass jemand wie ich eine regelmäßige Sprechstunde für Obdachlose abhält, nicht wahr? Wahrscheinlich tue ich es auch nur, um mein Gewissen zu beruhigen.«
    Er hatte in einem ironischen Ton gesprochen. Dieser Arzt verwirrte Anaïs in zunehmendem Maß, ein Gefühl, das durch den Lärm um sie herum noch verstärkt wurde. Die Stimmen triumphierender Männer, die fröhlich ihrer Gemeinsamkeit frönten und ihre Macht und ihr Glück genossen, summten in ihren Ohren.
    Thiaux legte noch einmal nach.
    »Ihr

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