Der Ursprung des Bösen
die Welt retten will. Hier geht es um Mord, und das ist und bleibt Sache der Bullen, verdammt!«
»Ich wiederhole noch mal, dass mein Patient …«
»Ihr Patient ist unser Hauptverdächtiger!«
»Das haben Sie mir bisher verschwiegen.«
»Sie wissen seit gestern, dass Ihr Cowboy Spuren in der Grube hinterlassen hat. Muss man Sie erst mit der Nase darauf stoßen?«
»Das heißt aber doch noch lange nicht …«
»Beihilfe zur Flucht, Erschleichen von Informationen in einem anliegenden Ermittlungsfall – wissen Sie, was Sie das kostet?«
Freire sah immer noch Kiefernwälder vorüberrauschen. Die Seekiefern versperrten den Blick auf den Himmel. Inzwischen regnete es auch wieder.
»Hören Sie«, sagte er mit seiner ruhigsten Stimme, die er stets gegenüber den Verrückten benutzte, »es gibt neue Fakten. Wir haben unseren Patienten identifiziert.«
»Wie bitte?«
Mathias fasste die Situation zusammen. Anaïs hörte schweigend zu. Er glaubte, dass sie das zufriedenstellen würde, doch sie wütete weiter.
»Wollen Sie damit etwa andeuten, dass der Kerl sich wieder erinnert und Sie ihn seelenruhig nach Hause begleitet haben?«
»Er erinnert sich längst nicht an alles. Zum Beispiel nicht daran, was am Bahnhof Saint-Jean passiert ist. Ich …«
»Morgen früh lasse ich ihn abholen. Er kommt in Polizeigewahrsam.«
»Tun Sie das nicht. Lassen Sie ihm ein paar Tage Zeit. Er muss sich erst beruhigen und zu sich selbst finden.«
»Was glauben Sie eigentlich, wo Sie sind? Im Wohltätigkeitsverein?«
Freire ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
»Für uns alle ist wichtig, dass Patrick Bonfils sich in seiner früheren Persönlichkeit stabilisiert. Nur so wird er sich je der Dinge erinnern, die vor seiner Flucht ins Vergessen vorgefallen sind.«
»Sie nehme ich am besten auch gleich in Gewahrsam.«
Mit diesen Worten brach sie das Gespräch abrupt ab.
Freire hielt noch immer den Hörer ans Ohr. Bäume huschten vorbei. Er hatte Liposthey hinter sich gelassen und würde gleich auf die A 63 auffahren. In diesem Augenblick entdeckte er zwei Scheinwerfer in seinem Rückspiegel. Sie gehörten zu einem schwarzen Geländewagen. Freire hätte schwören können, diesen Wagen vor einer halben Stunde schon einmal gesehen zu haben.
Aber er beruhigte sich schnell wieder. Sicher hatte es nichts zu bedeuten. Man fuhr mit gedrosseltem Motor hintereinander her, denn die Furcht vor Radarfallen saß allen in den Knochen.
Die weißen Scheinwerfer folgten ihm noch immer.
Er versuchte Ruhe zu bewahren, bis er plötzlich die beiden Männer in Schwarz wiederzuerkennen glaubte, die mehrmals vor seiner Haustür herumgelungert hatten. Erst in diesem Moment erkannte er auch das Auto. Es war ein Audi Q7.
Mathias trat auf die Bremse und wurde mit einem Schlag dreißig Stundenkilometer langsamer. Der Wagen hinter ihm vollführte im strömenden Regen das gleiche Manöver. Der Schmerz hinter Freires linkem Auge meldete sich mit dumpfem Pochen wie ein Alarmsignal im Schädel.
Mathias gab abrupt Gas. Der Geländewagen hängte sich an seine Stoßstange und folgte mühelos. Der pochende Punkt in Freires Augenhöhle schien das Innere seines Gehirns auszuleuchten. Seine Finger glitten vom Lenkrad. Sie klebten vor Schweiß. Der wütend prasselnde Regen schien alles in einem riesigen Strom davonschwemmen zu wollen.
Als rechts eine Ausfahrt auftauchte, zögerte Freire nicht lang und bog ab. Er befand sich irgendwo im Waldgebiet der Landes; die Namen auf den Schildern hatte er nicht beachtet. Als er die Landstraße erreichte, bog er erneut rechts ab und trat das Gaspedal durch. Ein Kilometer. Zwei. Rechts und links rauschten die langen Wälle der Seekiefern vorbei. Nirgends war ein Dorf oder auch nur ein Haus zu sehen, von einer Tankstelle ganz zu schweigen. Nichts als Natur. Der ideale Ort für einen potenziellen Angreifer. Ein Blick in den Rückspiegel zeigte Freire, dass der Q7 noch immer mit aufgeblendeten Scheinwerfern hinter ihm fuhr.
Mathias zog sein Handy aus der Tasche. Er drosselte die Geschwindigkeit auf siebzig Stundenkilometer, stellte die Kamerafunktion des Telefons ein, hielt das Objektiv in Richtung seines Verfolgers und zoomte auf die triefende Motorhaube des Audi. Ob er wirklich das Kennzeichen ins Visier bekommen hatte, wusste er nicht, doch er machte ein paar Fotos hintereinander, ehe er wieder Gas gab. Wie Bindfäden strömte der Regen herab, die Bäume zerschnitten die Landschaft in senkrechte Streifen. Freire hatte den
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