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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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»Spychiater«.

W as ist das denn?«
Anaïs stand auf der Schwelle und hielt ihm eine Flasche Rotwein entgegen.
    »Eine weiße Flagge. Ich möchte Frieden schließen.«
    »Guten Abend«, lächelte Mathias Freire.
    Es war Anaïs nicht schwergefallen, die Privatadresse des Psychiaters ausfindig zu machen, und acht Uhr abends erschien ihr gerade die richtige Zeit für einen Überraschungsbesuch. Sie hatte sich sogar ausnahmsweise einmal in Schale geworfen. Unter ihrem Mantel trug sie ein Batikkleid in goldgelben Tönen im Stil der Siebziger, hatte aber im letzten Augenblick Angst vor der eigenen Courage bekommen und war zusätzlich noch in eine Jeans geschlüpft. Das Resultat erschien ihr allerdings nicht sehr überzeugend. Außerdem trug sie den Push-up-BH, den sie nur ganz besonderen Gelegenheiten vorbehielt. Mit Glitzerpuder auf den Wangen, Spangen im Haar und ein paar Aspirin gegen die Kopfschmerzen fühlte sie sich bereit zum Angriff.
    »Wollen Sie mich nicht reinlassen?«
    »Entschuldigen Sie.«
    Er trat beiseite und ließ sie ins Haus. Wie schon bei ihrem ersten Zusammentreffen sah er ziemlich zerknittert aus. Sein Hemdkragen lugte zur Hälfte aus dem Ausschnitt seines Pullovers, die Jeans waren fadenscheinig, und das Haar wirkte ungekämmt. Er sah aus wie ein zerstreuter Professor, der seine Studentinnen zum Träumen bringt, ohne sich dessen bewusst zu sein.
    »Wie sind Sie an meine Adresse gekommen?«
    »Ich habe mein komplettes Team aktiviert.«
    Neugierig sah sie sich im Wohnzimmer um. Weiße Wände und Laminatboden. Abgesehen von einer durchgesessenen Couch und vielen an den Wänden aufgereihten Umzugskartons war der Raum fast leer.
    »Sind Sie gerade angekommen oder ziehen Sie aus?«
    »Diese Frage stelle ich mir jeden Morgen.«
    Sie drückte ihm die Flasche in die Hand.
    »Das ist ein Médoc. Ich gehöre einem Degustationsclub an und habe gestern mehrere Flaschen gekauft. Sie müssen mir unbedingt sagen, wie Sie ihn finden. Ein zarter Körper, aber kraftvoll ausgebaut. Ausgewogen und süffig. Er …«
    Anaïs brach ab. Der Psychiater schien um Fassung zu ringen.
    »Alles in Ordnung?«
    »Es tut mir wirklich leid, aber ich trinke keinen Wein.«
    Mit offenem Mund starrte Anaïs ihn an. Diesen Satz hörte sie in Bordeaux wirklich zum allerersten Mal.
    »Und was trinken Sie?«
    »Cola Zero.«
    Sie musste lachen.
    »Dann geben Sie uns doch einen aus.«
    »Okay, setzen Sie sich«, sagte er und wandte sich zur Küche. »Ich hole nur schnell zwei Gläser.«
    Interessiert betrachtete Anaïs das Zimmer. Gegenüber dem Sofa stand ein flacher Bildschirm an der Wand, und vor dem Fenster diente ein über zwei Böcke gelegtes Brett als Schreibtisch. Eine Lampe auf dem Boden verbreitete einen trüben Lichtschein. Der Psychiater hatte das für kleine Familien vorgesehene Haus in eine absolut anonyme Bleibe verwandelt.
    Anaïs schmunzelte. Ganz offensichtlich lebte Freire allein. Nirgends sah sie ein Foto oder auch nur die leiseste Spur der Anwesenheit einer Frau. Außerhalb seiner Arbeit schien der Arzt weder Freunde noch eine Geliebte zu haben. Sie hatte sich informiert und wusste, dass er erst seit Anfang Januar in der Klinik arbeitete, aus Paris gekommen war, mit niemandem Kontakt hatte und sich anscheinend nur für seine Arbeit interessierte. Ein Typ, der höchstens in der Kantine oder anlässlich einer Einladung bei einem Kollegen einmal eine warme Mahlzeit zu sich nahm.
    Sie trat an den Schreibtisch. Neben Notizen und jeder Menge teilweise in Englisch verfasster psychiatrischer Fachliteratur fand sie Computerausdrucke und hastig hingekritzelte Telefonnummern. Offenbar betrieb der Psychiater irgendwelche Nachforschungen. Ging es um seinen Patienten?
    Neben dem Drucker lagen frisch ausgedruckte Fotos, die die Nummernschilder eines Autos im Regen zeigten. Was suchte der Arzt? Anaïs beugte sich vor, um die Nummern entziffern zu können, doch in diesem Augenblick näherten sich Schritte. Mathias kam mit Gläsern und Coladosen zurück.
    »Mir gefällt es bei Ihnen«, sagte sie und ging zur Couch.
    »Sie brauchen sich nicht über mich lustig zu machen.«
    Er stellte die Dosen auf den Boden. Sie waren schwarz und beschlagen.
    »Tut mir leid, aber ich besitze keinen Couchtisch.«
    »Kein Problem.«
    Er setzte sich im Schneidersitz auf den Boden.
    »Ich überlasse Ihnen das Sofa.« Anaïs ließ sich nieder. Sie überragte ihn wie eine Königin. Sie öffneten die Dosen. Weder Anaïs noch Freire benutzten ein Glas. Sie

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