Der Väter Fluch
Freeway entlang, bis sie die Ausfahrt Robertson Boulevard an der 10 East erreichte, und wandte sich nach Norden durch die Stätten ihrer Kindheit.
Es war schon fast zwanzig Jahre her, dass sie in dem alten Viertel gelebt hatte. Die ganze Gegend war so jüdisch geworden, dass man sich fast in Brooklyn wähnte - wenn man von den Palmen mal absah. Nicht dass sie keine Gelegenheit gehabt hätte, in die Stadt zurückzukehren, aber sie fuhr nur selten über das Gebiet rund um ihr Elternhaus in North Beverly Hills hinaus. Die frumm Gemeinde ihres eigenen Viertels war vollkommen autark - von preiswerten Pizzaläden für die Jugendlichen bis zu Familienrestaurants mit Vierundzwanzigstundenservice. Koschere Metzgereien und Bäckereien waren ebenfalls reichlich vorhanden, also warum sollte sie unnötig durch die Gegend fahren? Und doch spürte sie eine gewisse Nostalgie, als sie an all den koscheren Geschäften und Läden vorbeifuhr, an den Obst- und Gemüseauslagen vor den Geschäften oder den jüdischen Buchhandlungen, die nicht nur religiöse Artikel, sondern auch seferim führten. Selbst der unabhängige Supermarkt Morry's - der in Wirklichkeit von einem Mann namens Irv geführt wurde - belieferte die umliegenden Häuser und bemühte sich nach Kräften, Produkte wie koscheren Käse und koschere Mehltortillas zu beschaffen.
Es gab so viele konfessionelle Schulen und Jeschiwas im Viertel, dass es von Kindern nur so wimmelte - ein Schlag in Hitlers Gesicht. Deshalb war es nur natürlich, dass eine Holocaustgedenkstätte ihren festen Sitz inmitten derjenigen gefunden hatte, die das Inferno überlebten.
Rinas eigene Eltern - beide Überlebende der Konzentrationslager - kamen langsam in die Jahre. Ihr Vater ging nun auf einen Stock gestützt, und ihre Mutter war auch nicht mehr die Schnellste, was sich selbst beim Sprechen bemerkbar machte. Aber geistig waren sie noch voll auf der Höhe, manchmal ließen die Schmerzen des Alters ihr Lächeln gefrieren. Sie liebten Hannah, doch häufig stellte Rina fest, dass das kleine Mädchen einfach zu anstrengend für sie war. Daher nahm sie sie nicht so oft mit wie früher die Jungs, und das stimmte sie traurig.
Rina warf einen Blick auf Tom Webster, der neben ihr saß, die Hände im Schoß gefaltet, die Augen geradeaus auf die Straße gerichtet. Sie hatte den Volvo waschen lassen, bevor sie ihn abholte, aber dennoch roch der Wagen ein wenig muffig. Möglicherweise lag das auch nur am typischen Smog von L. A. und weniger am Zustand des Autos. Seit sie ihn von der Polizeiwache abgeholt hatte, hatte Webster nur wenig gesagt. Zweifellos war er etwas nervös, hier mit ihr zu sitzen - der Frau seines Chefs: eine merkwürdige jüdische Frau, die ein Kopftuch trug und selbst im Sommer die langen Ärmel nur bis zu den Ellbogen hochrollte. Tom war mit seinen blonden Haaren, den blauen Augen, den kantigen Zügen und seinem breiten Südstaatenakzent so nichtjüdisch, wie man nur sein konnte. Vielleicht fühlte er aber auch eine gewisse Nervosität, weil sie zum Tolerance Center fuhren und er dort, ganz im Gegensatz zu ihr, überhaupt nicht in seinem Element war. Sie wusste, dass sie sich bemühen sollte, ein Gespräch anzufangen. Steif saß er in seinem blauen Anzug, dem weißen Hemd und der blauen Fliege auf dem Beifahrersitz. Da sie beide ziemlich warm angezogen waren, schaltete sie die Klimaanlage auf die höchste Stufe.
»Gibt es etwas, das Sie mich fragen möchten?«
Tom drehte sich zu ihr. »Nein, Ma'am, im Moment nicht.« Seine Stimme klang angespannt. »Obwohl ich davon ausgehe, dass ich später eine Menge Fragen haben werde.«
»Wir fahren nicht ins Museum. Die Forschungsabteilung ist auf der anderen Straßenseite. Dort sind auch die Bibliothek und das Archiv untergebracht, bis man die Renovierungsarbeiten abgeschlossen hat.«
»Okay.«
»Sind Sie schon mal in diesem Viertel gewesen?«
»Kann ich nicht sagen, obwohl ich schon mehrere Male in Beverly Hills war, bei den Oldtimerausstellungen am Rodeo Drive. Sie sperren die ganze Straße ab und veranstalten ein riesiges Fest. Das war klasse, besonders für meinen kleinen Sohn. Er mag Autos.«
»Da sieht man sicher ziemlich ausgefallene Modelle, oder?«
»Ich fand sie jedenfalls sehr ausgefallen. Aber ich schätze, für die betuchteren Bewohner des Viertels waren es nur ganz gewöhnliche Fahrzeuge.«
»Meine Eltern wohnen in diesem Viertel und fahren einen Pontiac«, erwiderte Rina. Webster errötete und stammelte eine
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