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Der Väter Fluch

Der Väter Fluch

Titel: Der Väter Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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konnte, würde es niemand mit dem Gesicht eines alten Mannes sein, der sich selbst Yitzchak Golding nannte, sondern jemand Junges - ein junges Gesicht, das sich vor rund sechzig Jahren in Oscars Geist eingebrannt hatte. »Sie erinnern sich an einen Jungen mit einem Fotoapparat?«
    »Ja, es gab damals einen Jungen mit einem Fotoapparat. Er machte seine Bilder etwa eine Woche, bevor das Lager niederbrannte.«
    Rina deutete auf Karl. »Und er sah aus wie dieser Junge.« Oscar nickte.
    »Nicht wie dieser Junge.« Sie zeigte auf Ernesto.
    »Nein, wie dieser.« Erneut deutete er auf Karl.
    »Ein polnischer Junge«, sagte Rina. »Wer war er?«
    Oscar zuckte die Achseln. »Ein Junge mit einem Fotoapparat. Also nahm ich an, dass er Geld hatte. Ich dachte, sein Vater wäre ein hohes Tier bei der polnischen Polizei.« Die polnische Polizei. Rina nickte. »Können Sie mir sonst noch was über ihn sagen?« Wieder begann der Finger zu wedeln. »Er machte Fotos durch den Zaun... er stand unter Strom, der Zaun. Wenn man zu fliehen versuchte...« Oscar klatschte laut in die Hände. »Wie eine Mücke an der Laterne. Man konnte hören, wie sie verschmorten... man konnte es riechen.« Er hielt sich die Hände vor den Mund, ließ sie dann sinken. »Also berührte er den Zaun nicht. Du hast die schlimmen Schwarzweißbilder dabei?« Rina nickte.
    »Zeig mir eins.«
    Rina durchsuchte ihre Brieftasche und zog das am wenigsten abstoßende Foto heraus, das sie finden konnte: ein spindeldürrer alter Mann, der aussah, als ob er in einem gestreiften Pyjama schlafen würde.
    Oscar studierte das Bild: »Ja... ja. Siehst du diese hellen Streifen? Das ist der Zaun. Das ist der Zaun!«
    Rina presste eine Hand vor den Mund und nickte. »Ja, ich sehe ihn.«
    Er gab Rina das Foto zurück. »Ich kenne den Jungen nicht. Einige von uns haben ihn angesprochen, ihn gebeten, sie zu fotografieren. Ein Mann... hat seinen toten Sohn gebracht... damit der Junge ihn fotografiert. Ich?« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht mit ihm geredet. Er kam für fünf oder zehn Minuten an den Zaun, machte Fotos und verschwand wieder in den Wäldern. Niemand blieb zu lange in der Nähe des Lagers. Sonst wurde man erschossen.« Oscar kratzte sich geräuschvoll an der Stirn. »Er brachte Brot... kein richtiges Brot, das meiste war Brotersatz... Sägespäne... aber besser als das, was wir hatten. Er nahm es, formte kleine Kügelchen daraus und warf sie durch die Lücken im Zaun. Er hat nie danebengeworfen. Sehr guter Arm.« Oscar nickte bewundernd. »Und sehr gefährlich. Wenn etwas den Zaun berührte, löste es einen Stromstoß aus. Dann war die Wache gewarnt, dass etwas vorging. Aber er hat nie danebengeworfen.«
    Die Tränen strömten über Rinas Gesicht. »Er brachte euch zu essen?«
    »Kleine Brotkügelchen - Brotersatz. Und Möhren- und Rübenstückchen. Und einmal... winzige wilde Erdbeeren. Kannst du dir vorstellen, was das für ein Luxus war? Erdbeeren! Warschau hatte nichts! Und er hatte Erdbeeren... und konnte sich leisten, sie zu verschenken. Oy vey, er war ein sehr reicher Junge. Der Junge mit dem Fotoapparat, der uns mit Stückchen Essen bewarf.«
    »Hat er mit den Häftlingen gesprochen?«
    Oscar dachte kurz nach, schüttelte dann den Kopf. »Nein, er sagte nie ein Wort. Machte nur Fotos. Vielleicht wollte er über die toten Juden lachen, nachdem wir alle verschwunden waren.«
    »Oder er wollte die Erinnerung bewahren. Wenn er euch etwas zu essen brachte, konnte er doch nicht so grausam sein.«
    »Vielleicht gefiel es ihm auch, dass die Juden sich wie Tiere im Zoo aufführten - wie bei einer Tierfütterung. Denn wir haben uns wie Tiere benommen und den Boden umgewühlt, um die Brotkügelchen oder Rübenstückchen zu finden.«
    »Wenn er euch Ärger hätte bereiten wollen, hätte er zumindest einmal den Zaun getroffen. Warum sollte er sonst so sicher treffen, MM?«
    »Du willst das Gute in ihm sehen.«
    »Ja«, nickte Rina, während sie gegen die Tränen ankämpfte. »Das ist lieb von dir.« Oscar zuckte die Achseln. »Winzige Brotkügelchen. Sie schmeckten wie... so gut wie deine Suppe.«
    »Das ist ein wunderbares Kompliment.«
    »Ja, das ist es.«
    »Soll ich Ihnen noch mehr von den Fotos zeigen, die in der Synagoge gefunden wurden? Vielleicht sind es die Bilder, die der Junge gemacht hat.«
    »Du sagst, es sind nur Tote darauf zu sehen?«
    »Ich erinnere mich nicht mehr, Oscar. Vielleicht waren einige von ihnen noch am Leben.«
    »Egal. Heute sind sie alle

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