Der Väter Fluch
wirklich nicht in meiner Absicht, Ihren Kummer noch zu vergrößern.«
Jill starrte ihn an. »Sie wissen also nicht, wer es getan hat?«
»Nein«, erwiderte Decker. »Und Dee Baldwin wird vermisst?«
»Wir konnten sie bisher nicht ausfindig machen.« Jill verschränkte ihre zitternden Hände. »Und was denken Sie darüber?«
»Ich kann noch nichts dazu sagen.«
»Glauben Sie, Dee hat mit der Sache zu tun?«
»Ich weiß es nicht.«
»War es grausam?«, fragte Jill.
»Es muss sehr schnell gegangen sein«, antwortete Decker. Ihre Unterlippe bebte. »Er hat nicht gelitten?«
»Nein.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich weiß es eben. Er hat nicht gelitten.«
Jill begann wieder zu weinen. »Ich möchte meinen Sohn sehen«, schluchzte sie. »Ich muss ihn sehen.«
»Sobald es möglich ist, werde ich persönlich vorbeikommen und...«
»Das sagten Sie bereits!«, unterbrach Carter ihn schroff. »Ich weiß. Ich wiederhole mich.«
»Kann man die Sache denn nicht irgendwie beschleunigen?«, bellte Carter.
»Der Fall hat bei mir oberste Priorität«, erwiderte Decker. »Ich hab genau wie Sie ein Interesse daran, die Sache voranzutreiben.
Deshalb ist es auch so wichtig für mich, möglichst frühzeitig an weitere Informationen zu kommen. Ich bestehe nur ungern darauf, aber wann, glauben Sie, könnte ich wohl mit Karl sprechen?«
Jill trocknete sich mit einem zerknüllten Papiertaschentuch die Augen. »Was soll Ernesto denn Ihrer Meinung nach vor uns verheimlicht haben?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht gar nichts. Aber Kinder haben fast immer irgendwelche Geheimnisse. Auch wenn sie ihre Eltern lieben. Und Ernesto hat Sie beide sehr geliebt...«
Carter schnaubte verächtlich. »Ihren billigen Trost können Sie sich sparen...«
»Das war kein billiger Trost, Sir. Ernesto hat mir selbst gesagt, wie sehr er Sie beide liebt und bewundert. Das hat er mir gleich bei unserem ersten Gespräch erzählt... an dem Tag, als er die Sache mit der Synagoge gestanden hat.«
Erneut endloses Schweigen. Dann begann Jill wieder zu weinen. »Danke, dass Sie das gesagt haben.«
Decker wartete einen Moment, bevor er sprach. »Das Ganze ist nur so ein Gefühl; ich kann mich also durchaus irren. Aber ich frage mich, ob diese Sache nicht irgendwie mit dieser Vandalismusgeschichte zusammenhängt. Ob Ernesto sich vielleicht mit ein paar gefährlichen Typen eingelassen hat. Ob er möglicherweise in irgendeine üble Sache hineingeraten ist und sich dann nicht mehr getraut hat, jemandem davon zu erzählen.« Eine lange Pause. »Ich weiß es nicht. Ich stochere nur ein bisschen im Nebel herum.«
»Denken Sie dabei an bestimmte Typen?«, wollte Jill wissen.
»Im Zusammenhang mit der mutwilligen Beschädigung der Synagoge haben wir damals einige Gruppen von Neonazis überprüft...«
»Mit solchen Leuten hatte Ernesto nichts zu tun!«, protestierte Carter. Seine Stimme wurde schrill. »Warum sollte er sich auf so was einlassen?«
Decker antwortete: »Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, warum ein Junge wie Ernesto mutwillig eine Synagoge beschädigen sollte... ich habe gedacht, dass er vielleicht unter dem Einfluss von ein paar ziemlich unangenehmen Leuten gestanden hat. Leuten, von denen er Ihnen niemals erzählen würde, aber von denen Karl vielleicht wusste...«
»Wenn Sie den Verdacht hatten, Karl könnte etwas über diese Sache wissen, warum haben Sie dann nicht gleich mit ihm gesprochen, als die Geschichte pausiert ist?«, knurrte Carter wütend.
»Meiner Erinnerung nach habe ich damals gefragt, ob ich mit ihm sprechen kann«, sagte Decker. »Aber ich glaube, Sie haben Nein gesagt.«
Carter wich seinem Blick aus. »Daran kann ich mich nicht entsinnen.«
»Na ja, kann sein, dass ich mich irre«, meinte Decker.
Aber es war beiden klar, dass er sich nicht irrte.
Jill biss sich auf die Lippen. »Karl weiß bisher noch gar nicht Bescheid... oder?«
»Sie beide sind die Ersten, denen ich es mitgeteilt habe.«
»Aber er wird sicher bald davon erfahren. So etwas spricht sich blitzschnell herum.« Sie sprang auf und lief im Zimmer auf und ab. »Carter, du musst sofort in der Schule anrufen...«
Carter fuhr aus seinem Sessel hoch. »Bin schon dabei.«
»Könnten Sie jetzt bitte gehen?«, fragte Jill. »Wir brauchen ein bisschen... ich muss...« Ihre Augen wurden feucht. »Ich muss ein paar Leute anrufen.« Sie sank auf das Sofa zurück. »Ich weiß nicht, ob ich das schaffe!«
»Soll ich vielleicht jemanden für Sie anrufen?«,
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